"Wenn es ums Frau-Sein geht, geht es um Freiheit" – Leyla Piedayesh

 

Redaktion: Marie-Christin Spitznagel

Leyla Piedayesh zeigt, dass wir viele Rollen einnehmen und viele Wege gehen dürfen. Sie ermutigt uns mit ihrer bunten Biografie, uns mutig ins Leben zu stürzen und einfach mal zu machen.

Sie gehört u.a. zu Deutschlands wichtigsten und erfolgreichsten Modedesignerinnen, hat eine eigene Shero-Barbie bekommen, ist ehemalige Musikjournalistin, und macht sich für gesellschaftlich relevante Themen wie Migration stark.

Leyla Piedayesh ist eine beeindruckende Frau, hat sie doch u.a. aus dem Nichts mit Einfach-mal-Machen-Mentalität ihr Unternehmen, das Modelabel LALA BERLIN aufgebaut. Sie hat einzigartige Signature-Pieces geschaffen (zB ihren Kaschmir-Schal mit dem berühmten Palastinenser-Tuch-Muster). Sie steht für Kreativität, Rebellion, Authentizität und Mut. Sie prägt Sätze wie "Wenn es ums Frau-Sein geht, geht es um Freiheit. Die Freiheit, verschiedene Rollen annehmen zu dürfen - und sie auszuleben, wie man möchte.“ Sie steht für Themen wie Identität, selbst zwischen zwei Welten lebend. Sie zeigt immer Haltung, wenn es um echte Werte wie Migration, Respekt und ein offenes Miteinander geht. Das alles ist verdammt #geileuschi. 

Leylas bewegte Kindheit

Stell dir vor, du verbringst deine Kindheit in einem (verhältnismäßig) liberalen und weltoffenem Land im Orient. Dann, eines Tages vor deinem 10. Geburtstag ändert sich plötzlich alles, und ein Haufen religiöser Hardliner wirft dein Land in die Vergangenheit zurück. Das passierte Leyla Piedayesh, die 1970 in Teheran geboren wurde.

Die iranische Revolution von 1979 ist ein komplexes Thema, das wir an dieser Stelle nicht im Detail besprechen können, aber um es abzukürzen: Die iranische Monarchie sollte zugunsten einer Demokratie abgelöst werden, für individuelle Freiheit in einem Staat, der nicht christlich geprägt ist wie Deutschland, sondern eben muslimisch, aber offen und prinzipiell säkular. Doch daraus wurde nichts, tatsächlich trat das komplette Gegenteil ein. Heute hat der Iran Scharia und Kopftuchzwang. «Ich habe noch gesehen, wie die Läden brannten, in denen Alkohol verkauft wurde», erzählt Leyla in einem Interview mit der FAZ über die Zeit der Revolution.

Leyla flieht mit ihrer Mutter aus dem Iran zu ihren Großeltern, die zu diesem Zeitpunkt schon seit einiger Zeit in Wiesbaden leben. Ihr Vater folgt ein Jahr später. Obwohl sie Deutsch komplett neu erlernen muss, macht sie Abitur in Wiesbaden und studiert anschließend Betriebswirtschaft in Bad Homburg. Sie hätte lieber Schauspiel studiert, doch sie entscheidet sich, ihrem Vater zu Liebe, für etwas «Solides». Nach dem Studium und Praktika in London und München arbeitet sie für eine Fernsehproduktionsfirma, für den Frauensender tm3 und für Pro7 machte sie „Blut-und-Eiter-Geschichten“, wie sie es selber nannte. Nachdem sie diese nicht mehr machen wollte und konnte, kam sie zum Musiksender MTV, dort entwickelt sie die Modesendung “Designerama” mit.

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Über Integrität und Musikfernsehen

Für die Sendung «MTV Masters» zieht sie nach Berlin und produzierte «Rockumentarys», eine Mischung aus Dokumentation und Porträts bekannter Musiker, unter anderem eine Dokumentation über die Band «Böhse Onklez». Die Zusammenarbeit zwischen der zarten, persischen Redakteurin und einer Band, die auch offen über ihre rechtsradikale Vergangenheit spricht, sich aber davon losgesagt hat, lief unerwartet gut. Wohl auch für den Sender, der aus der Dokumentation etwas anderes machen will, als Leyla abliefert. Tatsächlich kann sich Leyla mit der letztendlichen Sendung, die die Onkelz als weiterhin radikale und gefährliche Menschen darstellt, ganz und gar nicht anfreunden. Sie weigert sich, ihren Namen für diese Reportage herzugeben und sucht sich ein anderes Wirkungsfeld.

Auch der Kopf der Band, Stephan Weidner, äußert sich immer wieder sehr kritisch über die finale “MTV Masters Sendung”. In einem Interview mit dem Musikmagazin Rock Hard sagt er:

„Zunächst waren wir von der Idee begeistert. […] Weil wir glaubten, dass man vielleicht mit Hilfe der Onkelz Leute erreicht, die gewaltbereit sind oder mit einem Bein im rechten Lager […] stehen. Hätte man unsere Geschichte richtig dargestellt, mit allen Fehlern, die wir gemacht haben, und gezeigt, wie fehlgeleitet wir waren, wie wir uns entwickelt haben und wo unser Weg hingeführt hat, wäre das eine riesige Chance gewesen, diese Leute eventuell zum Umdenken zu bewegen. Es hat verdammt weh getan, dass diese Chance nicht wahrgenommen wurde. […] Die verantwortliche Redakteurin, eine Iranerin, hat diesen Leuten immer wieder gesagt, wenn sie bei uns irgendwas Rechtes riechen würde, wäre sie die Erste, die darüber berichten würde. […] Man wollte die Band nicht so positiv dargestellt sehen wie in dem ursprünglichen Beitrag. Daraufhin wurde diese Redakteurin wenige Tage vor dem Sendetermin entlassen und der Beitrag nochmal schnell umgeschnitten.“

 
Man darf Erfolg nicht so wichtig nehmen. Man muss einfach gelassener sein. Ich versuche, mir nicht so oft so viele Gedanken zu machen. Zu viele Gedanken verderben das Leben, deshalb habe ich es mir abgewöhnt. Ich grübele nicht über die Vergangenheit nach und zerbreche mir nicht den Kopf über die Zukunft, ich versuche im Jetzt zu leben, weil ich gemerkt habe, dass das glücklicher macht.
— Leyla Piedayesh

Leyla selbst sagt allerdings in einem Interview mit der Morgenpost Berlin, sie sei freiwillig gegangen, denn „Es ging nicht mehr, meine Ansprüche wurden höher, ich wollte weiter.“

Auf jeden Fall zeigt uns diese Geschichte eine ganz wichtige Eigenschaft von Leyla: Integrität. Sie verstellt sich nicht und trägt ihr Herz auf der Zunge. Sie ist ehrlich.

Und nach dem Ende ihrer TV-Produktionskarriere ging es für Leyla auch erst richtig los.

 
Wenn es ums Frau-Sein geht, geht es um Freiheit. Die Freiheit, verschiedene Rollen annehmen zu dürfen - und sie auszuleben, wie man möchte. Ob Mutter oder Geschäftsfrau. Ich will mir die Freiheit auch nehmen, diese Rollen so zu leben, wie es mir gefällt. Ich will keine vorgelebte, gesetzte Identität haben, die ich mir aufzwingen lasse. Ich möchte das Muttersein, Geschäftsfrausein autonom bestimmen und Verantwortlichkeiten selbst mit mir ausmachen. 
— Leyla Piedayesh
 

Vom Wedding auf die Laufstege der Welt

Im Jahr 2004 wendet sie sich endgültig dieser alten Leidenschaft zu, mit der sie schon zu MTV Zeiten in Berührung kam - der Mode. 2005 gründet sie ihr Label „Lala Berlin“. Lala war ihr Kindheitsspitzname.

„Ich bin zur Mode, zu Lala Berlin und zum Unternehmertum gekommen wie die Jungfrau zum Kinde “, erzählt sie im Gespräch mit OMR-Mitgründer Philipp Westermeyer.

Auf einem Flohmarkt entdeckt sie gestrickte Pulswärmer und beginnt zuhause, eigene Varianten zu stricken. Sie finanziert ihre erste Kollektion mit einer staatlichen Unterstützung von 6.000 Euro und mit Hilfe einer professionellen Strickerin. Eine Freundin finanziert ihr den Stand auf der Berliner Modemesse “Premium”. Ihre Teile werden ihr fast aus den Händen gerissen. Kurz darauf entwickelt sie ihr bekanntestes Teil, das Kufiya, bekannt als «Palenstinänsertuch», aus Kaschmir.

 
Mode und Politik habe ich geistig immer strikt voneinander getrennt, aber jetzt leben wir ja in ganz anderen Zeiten, wo Politik einem näher rückt als jemals zuvor. Das aktuelle Weltgeschehen muss uns beschäftigen. Letztendlich geht es darum, wie wir alle leben, und auch darum, dass wir anfangen müssen, für die Welt einzustehen und zu schauen, an welchem Punkt wir ansetzen können, um zu helfen.
— Leyla Piedayesh
 

Heute kleidet sie Frauen weltweit rundum ein. Stars wie Cameron Diaz und Heidi Klum wurden schon mit ihren Teilen gesichtet. Lala Berlin hat inzwischen 45 Mitarbeiter, einen Flagship-Store in Mitte, einen weiteren in Kopenhagen und verkauft in 250 Boutiquen Kleider und Accessoires.

Eine krasse Erfolgsgeschichte, die auch viel mit Leylas Unermüdlichkeit zu tun hat. Sie tanzt auf allen Hochzeiten gleichzeitig, ist der lebende Beweis, dass Multitasking durchaus funktionieren kann (wenn man Leylas unglaubliches Energielevel hat … ) Eine unglaubliche Frau, die mit Experimentierfreude, Mut und Integrität der deutschen Fashionbranche ihren Stempel aufdrückt.