Mit offenen Armen gegen verschlossene Köpfe: Bjeen Alhassan
Redaktion: Marie Spitznagel
Ihr wundervollen Leser*innen, hier in der Uschiparade machen wir ja immer gerne Platz für tolle Frauen, die nicht nur extrem klug und engagiert sind, sondern einfach machen, anpacken, Dinge rocken, sich gegen Widerstände durchsetzen. Geile Uschis, starke Frauen. Frauen wie Bjeen Alhassan.
Bjeen ist ihren Weg gegen viele, krasse Widerstände gegangen, hat sich nicht aufhalten lassen und nutzt ihre Energie nun, um anderen zu helfen. Klingt einfach schon nach Superheldin, oder? Aber von vorn.
Ein harter Weg
Bjeen stammt aus der kurdischen Stadt Qamischli in Syrien und flieht 2014, ein Jahr bevor die so genannte „Flüchtlingskrise“ losgeht, von Syrien nach Deutschland. Sie spricht Kurdisch, Arabisch, Englisch, Französisch aber noch kein Deutsch und möchte ihren Master auf Englisch fertigmachen. Doch bei einem Beratungsgespräch an der Uni sagt ihr eine Mitarbeiterin, sie hätte in Deutschland mit einem englischsprachigen Master wenig Chancen. Also lernt sie, als sie 2016 mit ihrem Master in Wirtschaftswissenschaften beginnt auch noch Deutsch. Inzwischen spricht sie fast akzentfrei, weil sie einfach megasmart ist!
2019 erlangt sie dann den Master in Business Administration als Abschluss ihres Wirtschaftsstudiums an der Hochschule in Emden-Leer. Die neue Sprache ist allerdings nicht die einzige Herausforderung während ihres Studiums. Für ihre Masterarbeit bekommt sie nur eine 4.0, dabei sind ihre Noten zuvor wesentlich besser. Die Zusammenarbeit mit ihrem betreuenden Professor sei alles andere als einfach gewesen, sagt sie. Noch deutlicher: Sie habe sich gemobbt gefühlt.
„Meine Masterarbeit wurde von einem Professor betreut, der sich selbst als AfD-Kreisvorstand Ostfriesland bezeichnet. In einem NDR-Interview habe ich über diese Erfahrung an der Hochschule Emden-Leer gesprochen – wie ich mich diskriminiert gefühlt habe. Daraufhin wurde ich verklagt.“ mehr dazu
Der Professor verlangte tatsächlich ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro und erwirkte eine einstweilige Verfügung, um zu verhindern, dass diese Äußerungen wiederholt würden. Die Klage wurde dann in 2021 allerdings abgewiesen
Mit offenen Armen gegen verschlossene Köpfe
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mich an Bjeens Stelle sonderlich wohl fühlen würde in einem Land, das mir zwar Asyl gewährt, aber in dem ich auch solche Erfahrungen machen muss. Ich habe enormen Respekt vor ihr, da sie ihre Möglichkeiten nun nutzt, anderen Frauen zu helfen, in Deutschland anzukommen.
Anfang 2020 engagiert sich Bjeen in einem Hamburger Verein und arbeitet dort mit Jugendlichen, die später an IT-Unternehmen vermittelt werden. Außerdem übersetzt sie ehrenamtlich Schriftstücke für geflüchtete Frauen. Kurz darauf folgt der erste Lockdown in der Coronapandemie. Bjeen sagt in einem Interview, in dieser Zeit hatte sie zum ersten Mal seit Jahren Zeit zum Nachdenken. Sie möchte weiterhin geflüchtete Frauen in Deutschland unterstützen.
Sie gründet „Lernen mit Bijin“, eine Facebook-Gruppe, in der sie auf Deutsch, Englisch, Kurdisch und Arabisch nicht nur Deutsch lehrt, sondern vor allem geflüchteten Frauen praktische Tipps für das Leben in Deutschland gibt. Wie muss ich dieses Formular ausfüllen? Was bedeutet dieser Brief? Wo muss ich damit hin? Diese Gruppe ist für viele Frauen enorm wertvoll und Bjeen Alhassan erhält für ihr Engagement den Nationalen Integrationspreis, überreicht von der damaligen Kanzlerin Angela Merkel.
„Von der Bundeskanzlerin ausgezeichnet zu werden, das ist eine große Ehre. Als ich noch in Syrien war, sah ich sie immer als starke Frau. Jetzt von ihr mit einem Preis ausgezeichnet zu werden, ist für mich ein Traum.“ mehr dazu
Wissen vermehrt sich, wenn man es teilt
Bjeen vermittelt Wissen niederschwellig und verständlich, damit macht sie es Menschen einfacher, den deutschen Behördenwirrwarr zu durchsteigen und hier anzukommen. Jetzt hat sie auch noch den Verein „Transfer of Knowdlege” gegründet, der sich vor an Mädchen und junge Frauen richtet.
Auch dieser Verein hat das Ziel, die Vielzahl von Informations- und Hilfsangeboten für geflüchtete Frauen verständlich zu machen und so den Zugriff darauf zu vereinfachen.
So werden geflohenen Frauen die Hilfsmittel gegeben, sich gesellschaftlich einzubringen und zu emanzipieren. Ganz nach dem Leitsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“, um so zu mehr Teilhaben und Selbstständigkeit zu kommen. Dabei wird gezielt da angesetzt, wo diese Frauen auch wirklich Hilfe brauchen.
Aber auch mit Behörden und verschiedenen Organisationen arbeitet der Verein zusammen, um Geflüchteten so einen besseren Einstieg in die Gesellschaft zu ermöglichen.
Neben all diesen krassen Projekten hat sich Bjeen vorgenommen zu promovieren. Weil warum nicht?
Natürlich wird sich Bjeen nicht von Schwierigkeiten aufhalten lassen, sondern mit klugem Kopf voraus durch alle Wände rennen, die ihr im Weg stehen. Ich bin sehr beeindruckt von Bjeen, ihrer Willenskraft und ihrem Durchsetzungsvermögen. Sie ist eine echt geile Uschi, die nicht nur für sich, sondern auch für andere durch Bildung Mauern einreißt. Auch, wenn das nicht jedem passt.
Auf ihrer Website steht:
„Deutschland ist unser (neues) Zuhause; Wenn wir zusammenhalten, können wir es zu einem besseren Ort machen. Mit Solidarität und Verständnis schaffen wir das.“
Da möchte ich dringend zehn „!“ hinter setzen. Muss ich eigentlich irgendwann aufhören, über all diese grandiosen Frauen zu fangirlen, die ich hier durch den GUK so kennenlerne? Wahrscheinlich nicht. Aufhalten würde ich mich sowieso nicht lassen. Das habe ich Bjeen abgeschaut.
P.S. Bjeen wurde vor einiger Zeit mit einiger ihrer alten Tweets von 2015/2016 konfrontiert. Joah. Die waren … schwierig. Sehr schwierig. Bjeen hat sich davon distanziert. Und auch wir applaudieren Bjeen für diese Tweets nicht. Wofür wir Bjeen aber applaudieren: Fürs Reflektieren. Fürs Einsehen. Fürs Aushalten. Fürs sich geirrt haben und dennoch weiter machen und fürs nicht verstecken. Denn auch das ist #geileuschi: Sich verrennen, Fehler machen, sich berappeln, sich wieder finden und seine wichtigen Dinge und Themen weiter voran treiben. Und so verweisen wir an dieser Stelle auf unseren Text zum Thema Fehler und für alle, die dennoch weiter mit dem Finger darauf zeigen möchten, auch auf unseren Text zum Thema toxischer Aktivismus.