Von der Anstrengung, eine gute Freundin und souveräne Netzwerkerin zu sein
Redaktion GUK Gründerin: Henriette Frädrich
Ich wäre so gern eine richtig gute Freundin. Eine Freundin, die immer ein offenes Ohr hat für die Menschen, die ihr wichtig sind. Die gern ausgiebig telefoniert und sich alles anhört, was im Leben der anderen so los ist. Eine Freundin, die sich gern minutenlange Sprachnachrichten anhört, sofort die passenden Antworten verschickt und WhatsApp-Chats am Laufen hält und nicht tage/wochenlang versanden lässt. Eine, die per WhatsApp immer verfügbar ist. Die sich gern und oft verabredet, für Lunch, für Café, für Sport, für einen Spaziergang, für ein feuchtfröhliches Wine&Dine oder für sonstige lustige Unternehmungen.
Eine, die sich in jede noch so herausfordernde gerade anstehende Lebens- und/oder Krisensituation ihrer Feund:innen hineinversetzen kann und mit Rat, Tat, Geduld und den richtigen Worten stets zur Seite steht. Genau diese Freundin wäre ich gern. Ich weiß um die Macht und Kraft von Freundschaftten.
Ich wäre auch so gern eine kongeniale Netzwerkerin. Ich lerne durch meine Arbeit immer wieder so tolle Menschen und Persönlichkeiten kennen. Menschen, die coole Dinge tun, Menschen, deren Geschichten und Werdegänge ich total spannend und interessant finde, Menschen, von denen ich so viel lernen könnte. Menschen, mit denen ich mich so gern regelmäßig austauschen und sie kennen lernen möchte. Menschen, die ich wiederum miteinander vernetzen könnte. Ich verstehe Buch-Klassiker wie „Erfolgreiches Netzwerken“ von Tim Templeton. Ich weiß um die Macht und Kraft des Netzwerkens.
Ich wäre so gern genau das. Die Super-Netzwerkerin und die Super-Freundin, die alle Beziehungsbälle gekonnt und gelassen jongliert, mit Freude und Leichtigkeit und natürlich „effortless“, das wunderbare englische Wort, für das es nicht so wirklich eine adäquate deutsche Übersetzung gibt, aber ausdrückt, etwas ohne Anstrengung zu tun.
Ich wäre so gern genau das. And I really try my very best. Aber ich versage und scheitere daran kläglich und täglich. Ja, mit etwas Distanz und Abstand zu mir selbst könnte ich sagen: Du hast doch Freund:innen. Du pflegst deine Freundschaften ganz okay. Du hast ein Netzwerk und pflegst auch dieses ganz okay. Aber „ganz okay“ ist halt nur „ganz okay“. Und so fühle ich mich hier regelmäßig wie eine Versagerin. Und ich frage mich immer wieder: Wie machen das die anderen? Wie bekommen die das hin.
Beziehungsjonglage ist erschöpfend
Warum fühle ich mich wie eine Versagerin? Woran scheitere ich? Ich scheitere daran, nicht hinterherzukommen. Freundschaften und Netzwerke zu pflegen kostet Zeit, Energie und Aufmerksamkeit. Ich würde diese Zeit, Energie und Aufmerksamkeit super gern für alle meine Freund:innen und die tollen Menschen, die ich gern in meinem Netzwerk wissen möchte, aufbringen. Immer wieder. Ich tauche gern in die derzeitigen Lebenswelten meiner Freund:innen ein, höre mir gern an, was los ist, stehe so gut ich es kann mit Rat und Tat zur Seite. Ich lasse mich gern auch auf neue Netzwerk-Menschen ein, finde es so spannend und aufregend, neue Menschen kennen zu lernen und mich von ihnen inspirieren zu lassen. Ich liebe den engen Austausch mit Menschen, liebe tiefe Gespräche und das gemeinsame Sich-Gedanken-Machen um und über alles mögliche, ich liebe verbale Sparrings, ich liebe die Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen und Menschen. Oberflächliches Blabla finde ich doof. Wenn, dann richtig.
Und doch. Erschöpft und überfordert es mich. Denn ich komme damit kaum hinterher. Und das wiederum frustriert mich.
Freundschafts- und Netzwerkmanagement verlangt Zeit, Energie und Aufmerksamkeit. Ich lege mir mittlerweile den Task „Mails“ und den Task „Whatsapps“ einmal die Woche auf Termin. Und schreibe zwei Stunden lang informelle nicht im Job-Kontext stehende persönliche eMails und Whatsapp-Nachrichten. Frage bei Menschen nach, was so los ist bei ihnen, wenn ich schon länger nichts von Ihnen gehört habe und erzhähle ein bißchen von mir. Ich freue mich über jede Antwort, die dann kommt. Und verfluche es doch regelrecht, wenn die Antwort quasi prontamente und postwendend da ist und der Kommunikationsball innerhalb kürzester Zeit wieder bei mir liegt. Denn nun muss/darf ich wieder aktiv werden. Und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, ich kann und werde jetzt nicht sofort darauf antworten, denn mein nächstes Freundschafts- und Netzwerk-Kommunikations-Zeitfenster ist erst wieder in einer Woche. Natürlich, wenn es pressiert und jemand z.B. gerade in einer Krise steckt, stehe ich parat und vertage meine Freundinnen-Verfügbarkeit nicht auf in eine Woche. Das wäre schon ___STEADY_PAYWALL___ ziemlich irritierend.
Aber die eher so allgemeinen dahinplätschernden Lebens-Updates müssen es dann doch aushalten, noch eine Weile liegen gelassen zu werden.
Wie gesagt, da ist keine böse Absicht dahinter und ich will damit auch nicht ausdrücken, dass mir die Menschen in meinem Umfeld nicht wichtig sind. Genau deshalb frustriert es mich ja auch so, nicht hinterher zu kommen. Aber ich merke eben auch, wie endlich meine täglichen Ressourcen an Energie, Zeit und Aufmerksamkeit sind und ich diese auf alles, was mir wichtig ist, entschieden und streng verteilen muss. Da ist der Job. Da ist die Familie mit meinem Sohn und meinem Hund. Da ist die Beziehung. Da ist das tägliche Haushaltsmanagen mit all seinem Lebens-Maintenance-Gedöns. Da ist das Ich, das auch mental und körperlich (Lesen, Nachdenken, Meditieren, Sport) viel von mir will.
Enge Beziehungen nur zu maximal fünf Menschen zeitgleich möglich
Ich habe mal gelesen, dass wir eigentlich sowieso nur zu maximal fünf Menschen zeitgleich eine enge und tiefe Beziehung/Verbindung aufrecht erhalten und pflegen können. Mehr passt in einen persönlichen Inner Circle gar nicht rein. Und dann überleg´ mal, wie schnell die fünf voll ist. Schon allein die engsten Familienmitglieder und der/die Partner:in sorgen doch dafür, dass die fünf Stellen im Inner Circle sofort besetzt sind.
Um den Inner Circle kommt dann der zweite, größere Kreis: Freund:innen und andere wichtige Bezugspersonen. Dann darüber der nächste große Kreis usw.
Bis maximal 150 Menschen auf diese Art und Weise um uns herum verteilt sind. Denn das ist die Dunbar-Zahl, benannt nach dem britischen Anthropologen Robin Dunbar, die besagt, dass wir maximal 150 soziale Kontakte ünberhaupt pflegen können. Dazu gehören eben auch der Kindergärtner, die Ärztin, der Nachbar, die Kolleginnen. Mehr kriegen wir einfach nicht auf die Kette. Unsere Hirnstruktur ist dafür nicht gemacht. Unser Hirn ist ja generell eigentlich recht wenig kompatibel mit dem modernen Leben im 21. Jahrhundert und für eine globale Vernetzung und Information-Overload gar nicht gemacht. Es kann nämlich eigentlich nur dörfliche Kapazitäten handeln, managen und begreifen. Wir sind eigentlich so gestrickt, dass wir nur das begreifen und verarbeiten können, was in unserem „Dorf“ passiert. Es ist also kein Wunder, dass uns globale Vernetzung, das Wissen, was am anderen Ende der Welt passiert, die sozialen Netzwerke und die Sofortness-Kommunikations-Tools, die uns ermöglichen, mit einer unbegrenzten Anzahl an Menschen im ständigen Kontakt und Austausch zu stehen, schlicht und ergreifend komplett überfordern. Ich wiederhole mich: Wir sind gar nicht dafür gemacht.
Und nun könnte man sich aus dem komplett zurück ziehen. Die von mir viel verehrte Autorin und Aktivistin Glennon Doyle schreibt in ihrem großartigen Buch „Ungezähmt“ unter anderem darüber, dass sie die schlechteste Freundin der Welt sei. Und feiert sich dafür auch etwas selbst. So empfindet sie es als FauxPas, wenn man sie einfach anruft oder, noch schlimmer, einfach unangemeldet bei ihr klingelt und vorbei kommt. Auf SMS und eMails reagiert sie so gut wie nie, und sie sagt, niemand könne von ihr eine Antwort erwarten. Auch die Menschen nicht, die sie „Freunde“ nennt. Ja, kann man so machen. Und natürlich stelle ich mir den kommunikativen Impact bei einer Frau, die mehrere Millionen-Bestseller geschrieben und eine riesige Fan-Base weltweit hat, extrem hoch vor. Vielleicht bleibt einem dann wirklich nichts anderes übrig, als sich hier komplett abzuschotten. Dennoch hat mich meine eigene Reaktion auf ihre Schilderungen, wie rigoros sie sich den Kommunikations-Overkill vom Leib hält, irgendwie … schockiert. Denn im ersten Moment habe ich sie dafür gefeiert und dachte für mich: Ich glaube, genau so bin ich auch, und genauso mache ich das ab sofort auch. Genau dieses Recht nehme ich mir auch raus. Niemand soll und darf von mir erwarten, dass ich als Freundin einfach so verfügbar bin. Meine Lieblingsmenschen können mir gern ihre Geschichten erzählen, aber bloß keine Antworten und Engagement meinerseits erwarten. Ich fühlte mich irgendwie cool in dieser Rolle und mit dieser entschiedenen Haltung. Die Macht über meine zeitlichen und energetischen Ressourcen ist so mit mir.
Aber wollte ich so wirklich sein? Wäre das nicht der zu einfache Weg? Sich abschotten, sein Ding machen und nur wenige Menschen an sich ran lassen ist einfach. Zu einfach. Denn sind es nicht unsere (Lebens- und Alltags-) Geschichten, die uns alle miteinander verbinden? Und ist diese Verbindung nicht eigentlich genau das, wonach wir uns alle sehnen? Vielmehr noch: Sind nicht vor allem tiefe Verbindungen genau das, was dem Seelchen und dem Herzchen seine Streicheleinheiten sind? Und ich stelle fest: Nein, ich will doch nicht einer von diesen Affen sein, der sich Ohren, Augen und Schnauze zuhält, um nichts zu sehen, nichts zu hören und nichts sagen zu müssen.
Aber wie ist das Paradox dann zu lösen? Wie sind der Wunsch nach Begegnung, Austausch und Verbindung und der Wunsch nach Ruhe und Zeit für sich unter einen Hut zu bekommen? Wie können wir den Wechsel zwischen den beiden grundsätzlich gegensätzlichen Zuständen und Bedürfnissen – „Hallo Welt“ (Extrovertiertheit) und „Tschüss Welt“ (Introvertiertheit) – gestalten und hinbekommen?
Ich weiß es nicht. Ja, es mag weired klingen, dass ich mir meine „Freundschafts- und Netzwerk-Kommunikations-Zeiten“ als wöchentlichen Task in den Kalender eintrage. Und ja, es mag auch für manche Freundin unbefriedigend sein, dass ich manchmal abrupt aus einem Chat aussteige und erst eine Woche später wieder einsteige. But at least I try.
Ich habe mal folgendes aufgeschnappt: Große Freundschaften brauchen keine großen Gesten. Große Freundschaften sind einfach da. Mit einem meiner besten Freunde verbindet mich eine jetzt über 20jährige Freundschaft. Wir leben in verschiedenen Städten. Und hatten teilweise schon Jahre, in denen wir, ja es ist erschreckend, keinerlei Kontakt hatten. Aber wenn wir uns dann sehen oder austauschen, ist es, als wäre nichts passiert, als stünde kein monströser Block aus vergangener Zeit zwischen uns. Wir quatschen, wir reden, wir tauschen uns aus, labern Blödsinn, sind völlig entspannt miteinander.
In einer akuten Krisensituation war er bedingungslos für mich da. Fun Fact: Er wusste nichts von meiner Krise, aber aus dem monatelangen kommunikativen Nichts ploppte seine Nachricht einfach auf: „Sag mir, dass es dir gut geht!“ schrieb er. Er wusste, dass dem nicht so ist. Obwohl er es gar nicht wissen konnte. Ich habe ihn dann einfach besucht, obwohl wir uns Jahre nicht gesehen und kaum Kontakt miteinander hatten. Und es war vertraut und unkompliziert wie eh und je. Große Freundschaften brauchen keine große Gesten, sie sind einfach da. Stabil. Bedingungslos. Über Jahre und alle Umstände hinweg. Aber ich empfinde das Privileg und nicht als selbstverständlich.
Und es ist sicher auch eine Frage der Persönlichkeit, der eine braucht halt mehr kommunikative Aufmerksamkeit, die andere weniger.
Ja, Netzwerke und Freundschaften wollen und müssen gepflegt werden. Manchmal darf man auch den Ball spielen, obwohl der Ball gerade beim anderen liegt. Und obwohl es Zeit und Energie und Aufmerksamkeit kostet, die man am Ende immer anderen Dingen/Themen/Menschen schenken könnte. Und lieber tröpfelweise und unperfekt als gar nicht. Tür auf oder Tür zu, das ist eine Entscheidung.