Judith Butler: The godmother of Genderstuff

 

Redaktion: Marie Spitznagel

Liebe Uschis, heute möchte ich euch von einer superklugen geilen Uschi vorschwärmen, die ich vor allem in meinem Studium nochmal ganz intensiv kennenlernen durfte. Denn tatsächlich werden ihre Thesen heute, 30 Jahre nach ihrer ersten Veröffentlichung, wild und kontrovers (und nicht immer sinnvoll) diskutiert. Es geht um Judith Butler. Der Name sagt den meisten Menschen weniger, als er (meiner Meinung nach) sollte, denn sie ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Philosophinnen und Sozialwissenschaftlerinnen. Also, sit back and enjoy meine Schwärmerei.


Die Big Queer Theory

Fangen wir ganz grundlegend an: Wer ist Judith Butler und warum bin ich der Meinung, dass ihr sie alle kennenlernen solltet? Also, Judith ist eine feministische Philosophin, wurde am 24. Februar 1956 in Cleveland geboren und zählt zu den einflussreichsten Denkerinnen EVER. Mindestens.

Seit 1993 unterrichtet sie Rhetorik an der University of California in Berkeley, studierte vorher von 1974 bis 1982 Kontinentalphilosophie an der renommierten Yale University und absolvierte 1978 bis 1979 ein akademisches Jahr an der Universität Heidelberg. Sie promovierte dann in 1984. Zusammengefasst: Die Frau hat einiges auf dem Kasten. 

Im März 1990 veröffentlichte sie dann ihr wohl bekanntestes Werk Gender Trouble, auf das ich hier auch hauptsächlich eingehen werde. Im Deutschen wurde es etwas unbeholfen übersetzt mit Das Unbehagen der Geschlechter. Das lässt sich vor allem damit erklären, dass es die Unterscheidung zwischen Sex (als biologisches Geschlecht) und Gender (das soziale Geschlecht) im Deutschen damals so nicht gab – und damit, dass viele englischsprachige Film- und Buchtitel gerade in den 90ern schlecht übersetzt wurden. Dabei ist die Diskussion gar nicht neu. Schon die französische Philosophin Simone de Beauvoir schrieb 1949 „On ne naît pas femme, on le devient“: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“

Die vermeintlich „neue“ Debatte über Geschlechter, Gender und alles dazwischen ist also nur noch nicht lange in den Köpfen aller Menschen angekommen. Das ist ja auch schon mal gut zu wissen. Vielleicht nehmen wir uns generell viel zu wenig Zeit für philosophische Diskussionen, aber dazu werde ich mich noch an anderer Stelle zu Genüge auslassen.


Was bedeutet das jetzt und warum ist das wichtig?

Warum halte ich Judith und ihre Theorien für so wichtig, dass ich euch unbedingt von ihr erzählen möchte? Aktuell gibt es ja viele, teilweise sehr ... ich sage mal … „leidenschaftlich“ geführte Debatten über Geschlechterbilder, Geschlechtsidentität und die Ordnung der Geschlechter generell. Falls man jetzt zu den Menschen gehört, die tatsächlich an einer Debatte interessiert sind und nicht nur ihre Meinung übers Gendern in die Welt brüllen möchten, gibt Judith einige wichtige Ansätze, über die man mal nachdenken kann. 

In ihrem Buch Gender Trouble erklärt sie den, eben schon erwähnten, Unterschied zwischen dem biologischen Geschlecht („Sex“) und dem sozialen Geschlecht („Gender“). Der ist tatsächlich ziemlich spannend und auch einleuchtend, wenn man mal darüber nachdenkt. Wir sind uns sicherlich erst mal alle einig, Menschen haben zwei biologische Geschlechter und einen kleinen Prozentsatz an Neugeborenen jedes Jahr, die sich keinem dieser Geschlechter zuordnen lassen. Diese bezeichnet man gemeinhin als „intersexuell“ also „zwischengeschlechtlich“.

Wichtig: Das ist nicht das gleiche wie „transsexuell“, denn das bezeichnet Menschen, deren biologisches, bei der Geburt zugeordnetes Geschlecht nicht mit ihrem tatsächlichen Geschlecht übereinstimmt. Also, zwei biologische Geschlechter.

ABER: Natürlich ist es, wenn man genauer hinsieht, nicht ganz so einfach. Schon ein leicht erhöhter Testosteronanteil im Fruchtwasser der Mutter kann dafür sorgen, dass sich deren Tochter bis zur Pubertät maskuliner verhält. Es gibt einen Haufen verschiedene Faktoren, die die Ausprägung des Hormonspiegels schon bei Embryonen beeinflussen können, was dann lebenslangen Einfluss auf dessen Entwicklung haben kann. Also, doch alles nicht so eindeutig. 

Und dann gibt es eben auch das soziale Geschlecht und damit kommen wir direkt in die richtig aufgeladene Debatte. (Juhu, jetzt geht´s rund!) Also, ganz wissenschaftlich ist das soziale Geschlecht oder „Gender“, die Bezeichnung für die unterschiedlichen Merkmale, die den Geschlechtern zugeschrieben werden. Mädchen sind nett, Jungs sind wild, Frauen sind kümmernd und Männer können sich nicht beherrschen, wenn sie einen kurzen Rock sehen. Diese Zuschreibungen passieren häufig unbewusst und schon im Baby- und Kleinkindalter. Das Verhalten von Babys wird unterschiedlich bewertet, auf Grund des zugeschriebenen biologischen Geschlechts. Dazu gibt es inzwischen zahlreiche Studien und Untersuchungen. Und das ist natürlich ziemlich krass, wenn man sich überlegt, dass wir schon mit Rollenbildern konfrontiert werden, bevor wir laufen können. Wahrscheinlich ist das ein Grund, warum gerade junge Menschen sich diesen Vorgaben inzwischen verweigern. Das stößt natürlich auf eine Menge Gegenwehr, die teilweise ein bisschen albern wird. Ich gebe wirklich mein Bestes, das alles an dieser Stelle so ruhig und sachlich wie nur möglich aufzudröseln. 

Gendergaga – damals und heute

Als Simone de Beauvoir den bereits zitierten Satz schrieb „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es“, meinte sie damit, dass Frauen erst durch den Blick der Männer auf sie zu dem anderen Geschlecht werden. Zuschreibungen von außen beeinflussen, wie wir als Frauen uns geben und gegenseitig betrachten. Mädchen sind immer lieb und artig, gerne sauber, während Jungs sich im Dreck balgen. Diese Aussagen kennen wir alle, oder? Und wir alle sind einerseits der Meinung, dass sie Quatsch sind. Aber irgendwie auch wieder nicht. 

Judith Butler denkt dies einen Schritt weiter. ___STEADY_PAYWALL___ Während die Frage, wer männlich oder weiblich ist (Penis vs. Vagina) biologisch beantwortet wird, wird die Frage WAS ist ein Mann und WAS ist eine Frau, vor allem gesellschaftlich beantwortet. Diese binäre Zuschreibung „Männer sind a und Frauen sind b“ stabilisiert die heterosexuelle Matrix, also die Blaupause, die wir anlegen, um neue Dinge einzuordnen. Wir sehen in dem Verhalten unseres Gegenübers die Bestätigung für dieses Weltbild. Personen, die da ausbrechen werden bestraft. So kommt es zu abwertenden Benennungen wie „Mannsweib“ oder „Pantoffelheld“.

Vor allem aber bedient sich, laut Butler, auch die feministische Theorie diesen binären Gedanken, dabei sollten diese einfachen Geschlechterbilder eigentlich überwunden werden. 

Dieses binäre Weltbild gibt vor allem auch Sicherheit. Wenn ganz klar ist, wie Frauen zu sein haben, gibt uns das eine klare Handlungsanweisung. Wenn diese Sicherheit bedroht wird (zum Beispiel durch eine Gruppe von Menschen, die sich non-binär sieht und mit Geschlechterrollen nichts zu tun haben will), reagieren viele Menschen darauf mit Aggression.

Was heute als „Gendergaga“ von Springerblättern und ähnlichen bezeichnet wird, ist der Versuch, dieses binäre System aufzubrechen, indem man zum Beispiel Worte und Anreden benutzt, die nicht geschlechtsspezifisch sind. Das ist natürlich in einer Sprache, in der sogar Gegenstände ein Geschlecht zugeschrieben bekommen (Der Tisch, die Tür) wirklich schwierig. 

Gleichzeitig ist genderspezifisches Marketing, das sich ganz gezielt an sozialen Zuschreibungen für ein Geschlecht orientiert, allgegenwärtig. Betrachten wir nur mal die unterschiedlichen Werbungen und Produktpaletten für Herren- und Damenrasierer. Es gibt Chips für „Mädelsabende“, saure Gurken für „echte Buam“, Überraschungseier für Mädchen und so weiter und so fort. Hier zeigt sich ganz deutlich, wie absurd diese Zuschreibungen sind. Unsere primären Geschlechtsmerkmale haben doch nichts mit unserer Farbpräferenz zu tun.

Dagegen wurden echte biologische Unterschiede teilweise vollkommen missachtet und finden jetzt erst Beachtung in der Medizin und anderen Lebensbereichen. Was auch vollkommen absurd ist. Wusstet ihr zum Beispiel, dass Herzinfarktsymptome bei Frauen andere sind, als bei Männern? Ich auch nicht. Ist aber keine unwichtige Information. 

Der Ruf zurückzukehren, in eine Zeit, in der Geschlechterbilder noch einfach waren, ist natürlich der Wunsch, die eigene Umwelt wieder simpel und sicher zu machen. Die Auseinandersetzung mit eigenen Quatschannahmen ist ja auch nie schön. Wie doof das eigentlich ist, wusste schon der geniale Douglas Adams in den 1970er Jahren.

„In diesen Tagen war der Mut noch ungebrochen, war das Risiko noch hoch, waren Männer noch richtige Männer, Frauen noch richtige Frauen und kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri noch richtige kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri“ 

  • Douglas Adams // Per Anhalter durch die Galaxis

Ich mache an dieser Stelle keinen Hehl daraus, dass ich die Thesen von Judith voll gut finde. Ich sehe keinerlei Sinn darin, mein Frausein als Kriterium für eine Verbindung oder Abgrenzung zu anderen Personen zu betrachten und meine Weiblichkeit definiert sich nicht durch meinen Uterus, sondern durch ganz viele weitere Faktoren. Aber es ist ja noch viel mehr, was vollkommen absurd wird, wenn man Butlers Thesen folgt.

Ich verspreche euch, da gibt es einige Dinge, die man dann realisiert und wegen denen man anfangen möchte, in ein Kissen zu schreien. Natürlich ist die geisteswissenschaftliche Sprache, auf die man dann bei Judith trifft, wirklich hart, aber es gibt auch großartige Interviews mit ihr, die euch ans Herz legen möchte. 

Ich finde es gut und wichtig, bestehende Systeme, wie unser binäres Geschlechtersystem mal zu hinterfragen. Warum zum Beispiel werden Jungs und Männer, die sich weibliche Geschlechterklischees zu eigen machen, viel häufiger Ziel für Aggressionen anderer Männer, als Frauen, die sich männliche Geschlechterklischees zu eigen machen? Sind Männer im Rock wirklich furchteinflößender als Frauen in Hosen? Ist es richtig, dass ich für einen pinken Rasierer doppelt so viel bezahle, wie für einen schwarzen oder blauen? Ist es mein Uterus, der mich zu einer Frau macht? Ist es mein Verhalten, mein Gefühl, mein Selbstbild? Ist ein junger Mann, der sich die Nägel lackiert weniger ein Mann, als derjenige, der gerne Fußball spielt?

All diese Fragen muß jede Person für sich selber klären und das ist auch in Ordnung so. Manchen Menschen geben klare Anleitungen Sicherheit, andere spielen lieber damit. Hass, Gewalt und Abgrenzung sollte niemand erfahren müssen für seine persönliche Geschlechtsidentität.

Außerdem müssen wir die tatsächlichen biologischen Unterschiede wertfrei betrachten und anerkennen können. Wie lange mussten (und müssen) Frauen mit Endometriose sich anhören, sie wären nur zu sensibel, weil man eben davon ausgeht, dass Frauen schmerzempfindlicher sind, während ihnen regelmäßig blutendes Gewebe an Stellen wächst, wo es nicht hingehört? Nur mal so als Beispiel.

Um all diese Überlegungen wirklich begreifen und erfassen zu können, mehr als nur als diffuses „Das ist aber so nicht richtig“- Gefühl, sind Judith Thesen wichtig und hilfreich. 


Und nun? 

Tja, ihr Lieben, das weiß ich doch auch nicht. Aber ich glaube, gerade in unserer feministischen Bubble brauchen wir diesen Diskurs. Aber bitte ernsthaft und liebevoll. Wenn ich ein Buch von zwei Cis-Frauen lesen möchte, die so tun, als würden sie offen über Transsexualität sprechen, während sie eigentlich nur sagen wollen, dass nur „echte Frauen“ Frauen sein dürfen, lese ich das neue Buch von Alice Schwarzer. 

Ein zusätzlicher Vorschlag: wir nehmen uns die Devise des GUK zu Herzen – geilen Kram machen ohne „Female Empowerment“- und Girl-Boss-Attitüde. Egal, ob du ein biologischer Mann in gesellschaftlich weiblich gesehenen Klamotten bist oder andersherum. Ob du Femme Fatale oder krasser Dude bist – so lange du nett zu mir bist und wir zusammen das Uschiversum aufmischen können, ist alles cool. 

Es könnte doch so einfach sein, wenn wir Menschen einfach als Menschen sehen. Und mehr zeitgenössische Philosophie lesen.


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Ein Artikel von Marie Spitznagel