Alkohol und die Spaßbremsenproblematik: Eva Biringer

 

Redaktion: Marie Spitznagel

Liebe Uschis, heute erzähle ich euch mal etwas sehr Persönliches (was ich ja sonst nie tue). Mein Mann trinkt keinen Alkohol. Also gar nicht. Er findet das auch total okay. Bier gibt es alkoholfrei, Fanta ist in Bars günstiger als Longdrinks und auch Cocktails gibt es lecker und ohne Stoff. 

Wie viele von euch fragen sich vielleicht ganz unwillkürlich nach dem „Warum?“. Also eher „Warum nicht?“, statt „Warum erzählt sie uns das jetzt?“, denn eigentlich interessiert es sicherlich niemanden, dass mein Mann am liebsten Malzbier trinkt, oder?

Und das ist genau der Punkt. Die Frage „Warum nicht?“, die in vielen Köpfen sofort auftaucht. Alkohol und Alkoholkonsum ist eines dieser Themen in Deutschland, mit dem nicht wirklich rational umgegangen wird, so wie das Tempolimit. (Ulf Poschardt schreit direkt in seiner Muttersprache Kfz vor Schmerzen auf, wenn er dieses Wort hört.) Alkohol und sein Konsum gehören fest zu Deutschland, sind Teil unserer Kultur und außerdem: BIER. Und der deutsche Wein! Warum hat Udo Jürgens da eigentlich nie drüber gesungen? Wir lieben unsere Weinkultur und unsere Biergeschichte. Reinheitsgebot!

Das ist ja auch alles schön soweit. Das Problem entsteht erst dann, wenn sich jemand aus dieser Rauschkultur herauszieht. Denn uns Deutschen ist unser Alkohol wichtig und damit auch der ritualisierte Rausch. An manchen Tagen und zu besonderen Gelegenheiten ist es nämlich in unserer Gesellschaft nicht nur vollkommen okay, sich komplett in eine andere Dimension zu ballern, sondern wird auch regelrecht erwartet. 

An einem normalen Montag Mittag ist es auch in Köln nicht üblich, durch die Gegend zu rennen und fremde Menschen abzuknutschen. Rosenmontag sieht das anders aus. Vatertag ohne eine warme Kiste Bier auf dem Bollerwagen? Der Gipfel der Spaßbremsigkeit, oder? Wozu wird man schließlich sonst Vater? Um Zeit mit den Kindern zu verbringen? Soweit kommt`s noch. Ein grölender Junggesellinnenabschied ohne zuckersüßen Schnaps in Minifläschchen mit extrem witzigen Namen wie „Ficken“ oder „Orgasmus“ (denn für subtil haben wir keine Zeit), deren Blechverschluss man sich beim Trinken auf die Nase legen muss? Da kann man auch gleich zu ´ner Tupperparty gehen! Ihr versteht, worauf ich hinaus will: Wer hier auf Alkohol verzichtet, fällt auf.

Warum freiwilliger Verzicht verdächtig ist

Vielleicht ist ein Grund, warum Menschen, die bei solchen Gelegenheiten nicht mitmachen, misstrauisch beäugt werden, die Angst vor dem Spitzel. Der nüchterne Mensch könnte all die wilden Ausschweifungen bezeugen. Unschuldiger Betrachter sein, von schwankenden Männern und peinlichem Verhalten.

Eva Biringer, die als freie Autorin viel über Genuss, Essen und Trinken schreibt, kommt in ihrem vielbeachteten Artikel „Wir sind nur so lange abhängig vom Alkohol, wie wir ihn konsumieren“ auf zeit.de noch zu einem anderen, auch sehr interessanten Schluss: 

„Wer nicht trinkt, macht sich verdächtig. Spaßbremse? Fahrradfahrerin? Oder hat da jemand etwa EIN PROBLEM MIT ALKOHOL? Das nämlich ist das Perfide an der Sache.

So allgegenwärtig dieses Kulturgut ist, so hart werden diejenigen sanktioniert, die nicht damit umgehen können.“

 
Eva Bringer
Eva Bringer
 

Alkoholkonsum ist Pflicht, wer ein Problem, gar eine Sucht entwickelt ist ... ja was eigentlich? Schwach? Ein bisschen bemitleidenswert? Jemand, der durch seine eigene Charakterlosigkeit anderen den Spaß verdirbt? Möglichst viel trinken zu können ist ja auch noch immer für viele Menschen ein Grund anzugeben. Was ziemlich bekloppt ist. Aber nicht nur Sportsäufer tun gut daran, ihren eigenen Konsum zu hinterfragen. 

Eva hat dazu weiter recherchiert und ein Buch geschriebenUnabhängig - Vom Trinken und Loslassen“ , das in diesem Frühjahr bei Harper Collins erschienen ist. 

Darin untersucht sie nicht nur unseren gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol allgemein, sondern auch die Tatsache, dass zwar der Alkoholkonsum generell sinkt, doch bei gut situierten Frauen ab 30 steigt. Die Gründe, die sie für diesen Umstand (unter)sucht, sind ziemlich spannend und auch ein kleines bisschen erschreckend.

Es ist einfach, einen Grund zum Trinken zu finden. Die gestresste Frau Mitte 30, die zwischen Job und Familie gerne mal zu viel Wein trinkt, um sich zu entspannen, ist nicht nur ein gern genutztes Reel- oder Sitcom-Klischee. Sie ist allgegenwärtig und ihr Verhalten scheint auch normal. Die Probleme dahinter verschwinden unter Lachen vom Band. Stellen wir uns eine Claire Dunphe, die nur Kontrolle abgeben kann, wenn sie leicht einen sitzen hat, außerhalb einer Sitcom wie „Modern Family“ vor. Gar nicht so witzig.


Sucht oder Genuss?

Wann ist unser Alkoholkonsum problematisch? Wann bewegen wir uns noch in einem gesunden Bereich und wann sollten wir überlegen, das Trinken ganz sein zu lassen? Das ist eine gute Frage. Die Parameter um das zu entscheiden sind etwas diffus. Auch über diese Schwierigkeit, den eigenen Konsum einzuordnen, schreibt Eva in ihrem Artikel auf zeit.de:

„Im Internet finden sich diverse Tests zu dem Thema, die auf dem Prinzip der ehrlichen Selbstbefragung beruhen. Einer der bekanntesten ist der von der WHO empfohlene AUDIT (Alcohol Use Disorders Identification Test). Er besteht aus zehn Fragen wie ›Sind Sie oder jemand anderes schon einmal verletzt worden, weil Sie getrunken haben?‹. Mehr als sieben Punkte bei Frauen beziehungsweise acht Punkte bei Männern weisen auf einen gefährlichen und schädlichen Alkoholkonsum hin. Daneben existiert eine Vielzahl weiterer mehr oder weniger seriöser Selbsttests.“

Vielleicht ist unsere Beziehung zum Alkohol einfach generell etwas ungesund, weil er so omnipräsent ist. Und weil wir den kontrollierten Exzess so zelebrieren, man hat sich unter Kontrolle, ist ein verantwortungsbewusster Mensch, wenn man nur MANCHMAL und mit Gründen trinkt. 

 
 

Wahrscheinlich würde es jedem von uns mal gut tun, eine Weile auf Alkohol zu verzichten. Einfach nur, um zu schauen, wie sich das anfühlt. Auf jeden Fall sollten wir aber Menschen, die bewusst verzichten nicht hinterfragen, ihnen gleich Probleme unterstellen oder skeptisch beäugen. Im Gegenteil. Und schon gar nicht sollten sich die Menschen, die sich gegen Alkohol entscheiden, aus welchen Gründen auch immer, dafür rechtfertigen zu müssen. Wir fragen Nichtraucher:innen ja auch nicht: „Wieso rauchst du denn nicht? Och komm schon! Sei kein Spielverderber!“ Fühlt sich absurd an, oder? Ist es auch. Und genauso ist es auch beim Thema Alkohol.  


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