Selbstoptimierungswahn? Nicht mit mir!

 

Redaktion: Marie Spitznagel

Liebe Uschis, wir alle wollen die beste Version unserer Selbst sein, oder? Also mindestens in den ersten Jahreswochen, nachdem wir seit Anfang Dezember gefuttert und dann um Weihnachten rum endlich auch rumgegammelt haben. Aber was soll das überhaupt sein, diese „Die beste Version“? Marie 2.0 – weniger Bugs, dafür aber mehr Geduld und mit zubuchbarer Pupse-klingen-nach-beruhigender-Musik-Option?


Der Selbstoptimierungsmarkt boomt seit einigen Jahren. Ich finde das in ganz vielen Punkten toll, in einigen anderen aber auch durchaus erschreckend und bekloppt. Und natürlich werde ich all diese Punkte jetzt mit euch teilen, weil ansonsten wäre diese lange Einleitung vollkommen sinnlos.


Selbstoptimierung vs. Persönlichkeitsentwicklung. Oder so.

Ich möchte an dieser Stelle eine sehr persönliche Geschichte mit euch teilen. Das mache ich einerseits, weil es relevant ist für diesen Beitrag, aber andererseits auch, weil ich zum bedingungslosen Seelenstriptease durchaus neige. Nun denn, Obacht!

2016 schied ich, psychisch äußerst angeschlagen, aus einem frustrierenden Arbeitsverhältnis aus. Sechs Monate später, Anfang 2017, machte ich mich selbstständig, um endlich so zu arbeiten, wie ich es wollte. 

Das tat ich aber nicht. Anstatt die neue Freiheit zu nutzen, um so zu arbeiten, dass es mir guttat, ging ich direkt zurück in all die ungesunden Verhaltensweisen, die dazu geführt hatten, dass mein letzter Job mich psychisch und emotional fertiggemacht hat. 

Ich ließ mich von meinen Kunden mies behandeln, war auch irgendwie der Meinung, das verdient zu haben. War bereit, für lächerlich wenig Geld lächerlich viel Arbeit zu verrichten. Natürlich auch in meinem Urlaub. Und saß ansonsten fast 16 Stunden am Tag an meinem Schreibtisch. Ich vernachlässigte meine Kinder und meinen Mann, war generell einfach wirklich unglücklich mit mir, meiner Arbeit, meinem Leben und allem. Gegen Ende meines ersten selbstständigen Jahres ging es mir nicht besser als vorher in meiner Festanstellung, was mich schrecklich frustrierte.

 Dann kam ich über Umwege und Freunden von Freunden, wie es nun mal so ist, Cornelia Quentin und ihrem Institut für Persönlichkeitsentwicklung. Ich sollte deren Social Media Auftritte überarbeiten und um das wirklich gut machen zu können, lud sie mich zu einem Wochenendseminar ein. Damit ich erstmal erlebte, worum es in den Seminaren ging. 

Um ehrlich zu sein, für mich klang all das, was in diesem Institut gemacht wurde, ein bisschen nach Voodoo, und ich hatte kein wirkliches Interesse daran. Also saß ich am ersten Tag hinten bei den anderen Coaches und betrachtete alles mit einem gewissen Abstand. Am zweiten Tag saß ich ganz vorne und lausche gebannt jedem einzelnen Wort von Connys Lippen. Am Nachmittag stand eine Pferdetherapie an. Ich mag keine Pferde. Ich wollte nicht mitmachen. Als ich mich dann doch durchrang, als Letzte noch eine Runde mit dem Pferd zu gehen, endete das Ganze dann mit Tränenfontänen meinerseits. 

Dieses Wochenende zeigte mir, wie viel ich an mir selbst zu arbeiten hatte, um überhaupt die Chance auf eine gute, glückliche Zukunft zu haben. Ich verpflichtete mich direkt für ein ganzes Jahr bei Cornelia, um mit ihr zusammen zu arbeiten und fieberte jedem dieser Termine entgegen. Ich habe in diesem Jahr unglaublich viel über mich gelernt und all das hat mein Leben, meine Ehe und meine Arbeit verbessert. Ich könnte ihr nicht dankbarer sein. 


Aber irgendwann ist auch mal gut

Was ich aber in dem darauffolgenden Jahr lernte, war mindestens ebenso wichtig. Denn irgendwann ist in diesem Bereich alles gesagt. Und wir müssen aus dem Lernen ins Tun kommen. 

Wir alle wollen glücklich sein. Dabei haben mir die Seminare geholfen. Ich bin heute definitiv glücklicher als früher. Ich kann mich auch spezifisch weiterbilden, wenn ich den Drang verspüre. Letztes Jahr habe ich z.B. mit meinem Mann ein Finanzcoaching gemacht und es war super. 

Allerdings finde ich inzwischen einige Auswüchse dieses Selbstoptimierungswahns unheimlich gruselig. Das neokapitalistische Prinzip von „Hauptsache Wachstum, Stillstand ist Tod“ hat sich in dieser Branche breitgemacht. Oder war schon immer da und ist mir nur anfangs nicht aufgefallen. 

Es geht also gar nicht darum, glücklich zu sein, sondern darum, besser zu werden. Und besser kann man immer werden. Fitter, wacher, reicher, geiler, toller. Wie anstrengend.

Reicht es eigentlich niemandem, einfach zufrieden zu sein? Nein, wir müssen um 5 Uhr aufstehen, kalt duschen, Kaffee mit Butter drin (igitt) trinken, meditieren, achtsam sein und dann vor 10 schon zwei Start-ups gründen. Außerdem niemals Geld für Quatsch ausgeben, sondern nur für ETFs, immer die gleichen Outfits tragen wie Steve Jobs und niemals zum Spaß lesen, sondern nur die geilen Bücher von geilen Typen, die mit 20 schon megareich sind. Ach, und Kryptowährung brauchen wir natpürlich auch. Das kommt dann alles jeden Abend in unser Dankbarkeitstagebuch. Aber wirklich JEDEN ABEND!

Ganz ehrlich: Da habe ich keinen Bock drauf. So will ich mein Leben nicht leben. 

Glücklicherweise sehe nicht nur ich das so, sondern auch die zauberhafte Margarete Stokowski hat in ihrer Kolumne auf spiegel.de eine ähnliche Meinung geäußert:

„Es gibt eine riesige Menge an Ratgeberliteratur, die dabei helfen soll, gute Vorsätze einzuhalten, egal ob zum Jahresanfang oder mitten im Jahr. Sie könnten das alles lesen, aber Sie müssen nicht, denn ich habe das für Sie schon getan. Wirklich. Ich glaube, ich habe fast alle Selbstoptimierungsbücher gelesen bzw. als Hörbuch gehört, die in den letzten Jahren Bestseller waren. Und solche, ___STEADY_PAYWALL___ die mit gutem Grund keine geworden sind. Es ist eine Art Hobby von mir, vielleicht etwas, was man guilty pleasure nennen könnte, aber dazu schäme ich mich zu wenig dafür. Denn: Wenn man sich einmal in die Materie eingearbeitet hat, erkennt man, dass Selbstoptimierung erstens ein Fass ohne Boden ist und zweitens leicht dazu führen kann, dass man ein peinlicher Karrierekasper wird.“ 

Genau das. Selbstoptimierung kann endlos sein, da sie kein natürliches Ende hat. 

Goldene Mitten und so

So, und jetzt? Einerseits ist es unheimlich wichtig, auf sich zu achten. Mir hat das Jahr intensiver Auseinandersetzung mit mir, meinen (Achtung Buzzword) Glaubenssätzen und bekloppten Angewohnheiten unheimlich geholfen. Aber nach drei Jahren, in denen ich jetzt diese Szene im Blick habe, sind mir so viele Dinge unter die Nase gekommen, die mich eher abschrecken. Meine Persönlichkeit zu erkennen, anzunehmen und zielorientiert zu arbeiten ist ja schön, aber in einem niemals endenden Selbstoptimierungshamsterrad festzuhängen ist es nicht. 

Wer davon ausgeht, dass es an ihm immer noch etwas zu optimieren gibt, kann niemals wirklich zufrieden mit sich selbst sein. Und das ist doch traurig und (in meinem Kopf jedenfalls) das Gegenteil von dem, was diese Seminare, Bücher und Coachings eigentlich erreichen sollten, oder?

Auf Instagram wurde mir neulich ein Video ausgespielt, in dem ein junger Mann sich darüber auslässt, dass nur erfolglose und unzufriedene Menschen Unterhaltung Bildung vorziehen. Diese Aussage halte ich für eine verdammte Frechheit und eine Lüge. (Vor allem auch, weil ich Unterhaltungsliteratur schreibe, nur mal so am Rande.)

Jeder Mensch hat das Bedürfnis, sich unterhalten zu lassen. Niemand kann 24/7 nur daran arbeiten, „besser“ zu werden. Im Gegenteil. Wir brauchen unsere Pausen. Wir müssen auch mal einen ganzen Sonntag lang „Friends“ gucken, um uns besser zu fühlen. Oder quatschige Podcasts hören. Oder halt auch einfach mal nüscht machen. Wie die wundervolle Hertha in Marc-Uwe Klings Känguru-Chroniken sagt:„Wer nie vernünftich nüscht macht, kann och über nüscht vernünftich nachdenken.“

Ich glaube, wir können als Gesellschaft nur wachsen, wenn wir erstens dieses elende „Höher, Schneller, Weiter“-Prinzip endlich in die Tonne kloppen, wo es nämlich hingehört. Und zweitens aufhören zu glauben, Menschen, die unerfolgreich sind (nach welchem Kriterium man auch immer Erfolg definiert), wären selbst schuld. Denn genau das steckt in diesen „Jeder kann es schaffen“- Ansätzen drin. Wer in 15 Jahren durch Minirenten in die Altersarmut rutscht, ist selbst schuld, weil er/sie nicht rechtzeitig vorgesorgt hat. Wer unzufrieden ist, ist selbst schuld, weil er/sie nicht achtsam genug ist … Finde ich alles schwierig. Das klingt für mich nach extremem Liberalismus, nach „Wenn jeder auf sich selber schaut, ist für jeden gesorgt“ - was gleichzeitig bedeutet, dass Menschen, die nicht auf sich achten können, einfach Pech haben. Und das ist kein Ansatz, den ich vertreten möchte.


Höher, schneller, weiter – Schwachsinn

Wir müssen nicht immer besser werden. Es reicht, wenn wir okay sind, liebevoll mit uns und anderen umgehen, wenn wir öfter glücklich als unglücklich sind und unsere Finanzen soweit im Griff haben, dass Monatsende nicht gleichbedeutend mit Panikattacke ist. 

Zufriedenheit als Ziel wird unterbewertet. Wir dürfen uns einfach wünschen, glücklich zu sein. Es ist okay, nicht vor Sonnenaufgang aufzustehen und es ist auch okay, ein Buch aus Spaß zu lesen. Ihr dürft einfach Dinge tun, die euch glücklich machen, einfach so, ohne dabei gleich ein Side-Business samt passivem Einkommen daraus entwickeln zu müssen. 

Niemand profitiert davon, dass ihr unglücklich seid, außer diejenigen, die euch den Schlüssel zum Glück verkaufen wollen. 


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Ein Artikel von Marie Spitznagel