Mastermind of Schweizer Tunnelbau: Ingenieurin Valentina Kumpusch

 

Redaktion GUK Gründerin: Henriette Frädrich

Ich sammele Frauen. Ich sammele „geile Uschis“, um genauer zu sein. Klingt etwas irritierend, ich weiß. Aber ich habe in der Tat mehrere Ordner, analog und in echt auf Papier, als auch digital und online, in denen ich Artikel über oder Interviews mit Frauen sammele, die mich auf ganz unterschiedliche Art und Weise schwer beeindrucken und wo beim Lesen meine „Geile-Uschi-Antenne“ so richtig ausschlägt. 

Im Dezember 2021 beeindruckte mich der ZEIT-Artikel „Bei ihr darf sich der Berg austoben.” über die Schweizer Ingenieurin Valentina Kumpusch enorm. Valentina Kumpusch ist nichts geringeres als der Mastermind hinter dem Bau des zweiten Gotthard-Tunnels. Allein schon „Tunnelbau“ und „Gotthard-Tunnel“ sind für mich zwei Begriffe, bei denen ich vor Ehrfurcht erblasse. So etwas fasziniert mich. Total. Es sind Bauprojekte von epischem Ausmaß und einer für mich kaum zu begreifenden und fassenden Komplexität. Wer diese Komplexität aber beherrscht, steuert, managed und überwacht, das ist Valentina Kumpusch. 

Seit 2013 leitet Valentina Kumpusch das Megaprojekt. Verantwortung tragen für ein 2 Milliarden Euro Projekt. Der Gotthard-Tunnel ist ein Mythos, ein Eintrag in den Schweizer Geschichtsbüchern ist für alle Manager:innen des Großprojektes sicher.


Tunnelbau im Blut 

Der Vater, ebenfalls Bauingenieur und Tunnelbauer, nahm seine Tochter schon früh mit auf Baustellen. Und auch das belegt meine These: Das, was wir vorgelebt bekommen, kreiert unsere Realität und Normalität. Valentina hatte einen Vater, der sie einfach mitnahm und ihr diese Welt zeigte. Und es schien dabei völlig egal und irrelevant zu sein, dass sie ein Mädchen ist. Auch die Frage, ob Baustellen und Tunnelbohrlöcher die passenden und angemessenen Lernorte für ein Mädchen seien, schien nie gestellt worden zu sein. Warum auch? 

Valentina wollte eigentlich Archäologin werden, studierte dann aber doch an der ETH Zürich Bauingenierwesen. Die ZEIT nennt sie ehrfurchtsvoll als „eine Spitzenfrau im alpenländischen Infrastrukturbau.“ Und ihre Karrierestationen bestätigen das: Sie arbeitete für die Neue Eisenbahn Alpentransversale (Neat) am Gotthard, war am Lötschberg für den Einbau der Bahntechnik verantwortlich, Bauprojekte an diversen anderen Bahnstrecken in Zürich und rund um den Brenner-Basistunnel. Ihr Leben richtete sich immer nach den Großbaustellen, die sie verantwortete, sie lebte als Baustellen-Nomadin.


Große Projekte mit komplexen Koordinationsaufgaben bewältigen? Aber klar doch und immer her damit! 

Großbaustellen zu leiten fordert vor allem eins: Man muss und darf sehr viel Verantwortung übernehmen und darf und muss sehr viel Steuergeld ausgeben. Und beides muss man richtig machen. Auch davor scheute sich Valentina Kumpusch nie. Sie sieht sich als Teil eines sehr großen Ganzen: ”Ich liefere ein Bauwerk ab, das lange Zeit zuverlässig Nutzen bringt. Das ist meine Aufgabe.” Valentina Kumpusch zeigt auch etwas auf, was wir alle im Alltag nie wirklich bewusst wahrnehmen oder uns damit beschäftigen: Sind wir uns bewusst, wer Kraftwerke, Brücken, Staudämme und so weiter gebaut oder erfunden hat?

Wir nutzen Infrastrukturen völlig selbstverständlich, ohne deren Komplexität und Entstehungskomplexität zu begreifen. 

Welche Herausforderungen dürfen bewältigt werden, jeden Tag, wenn es darum geht, ein so komplexes Bauwerk wie eine fast 20 kilometerlange Verkehrstunnelröhre durch einen dicken Alpenberg zu planen, zu managen und umzusetzen? 

Hunderte Sitzungen und Absprachen. Immense Papierberge. Zig Verträge aufsetzen. Zig verschiedene Gewerke unter einen Hut bringen und logistisch aufeinander abstimmen. Zig verschiedene Interessensgruppen so unter einen Hut bringen, dass alle Interessen halbwegs gewahrt bleiben und niemand das Jahrhundertprojekt blockiert. Millionenbudgets jonglieren. Den Überblick behalten. Hunderte Mitarbeiter:innen und Dienstleister:innen managen. Konflikte lösen. Erwartbare und auch plötzlich auftretende nicht eingeplante. Lösungen finden. Die Bevölkerung über das Bauvorhaben und den Prozess infomieren. Umwelt- und Naturschutzauflagen beachten. Wohin mit dem tonnenweise anfallenden „Bauschutt“, den man im Tunnelfachjargon „Ausbruch“ nennt, wie ich in einem Artikel bei der NZZ lese:  

„Für 6,3 Millionen Tonnen Ausbruchmaterial habe eine Lösung gefunden werden müssen, berichtet Kumpusch. Eine Million Tonnen Gestein wird als Baumaterial im neuen Tunnel wiederverwendet. 2,8 Millionen Tonnen gehen per Bahn an den Urnersee und werden wie beim Gotthard-Basistunnel zur Renaturierung der Flachwasserzone im Reussdelta verwendet. Weitere 2,5 Millionen Tonnen sollten bei Biasca bei der bestehenden Schüttung aus dem Basistunnel deponiert werden. Dieser Plan zerschlug sich jedoch, nicht zuletzt wegen lokaler Widerstände. Nun werden sie für die Aufschüttung und Überdeckung der Autobahn bei Airolo verwendet, das insgesamt eine grosszügige landschaftliche Aufwertung erfährt.“


Die grösste Herausforderung stellen laut Kumpusch jedoch die Installationsplätze an den Tunnelportalen dar, die voraussichtlich fast ein Jahrzehnt lang durch Verkehr, Erschütterungen, Lärm und Staub die Menschen und die Lebensräume von Tieren und Pflanzen belastet werden. Dies erfordert viele Verhandlungen mit den Gemeinden, den Kantonen, dem Bund, Landeigentümern und Umweltverbänden, um die verschiedenen Blickwinkel zu integrieren. Dabei geht es um unterschiedlichste Dinge wie Logistik, Verkehrsführung, Lärmschutz, Unterkünfte, Kantinen und Umweltauswirkungen während des jahrelangen Baus.

Valentina Kumpusch

Wie baut man Tunnel, Rettungswege, Versorgungswege etc? Wie können Brandkatastrophen verhindert werden?

Ich lese im ZEIT-Artikel das Wort “Störzonenmanagement”

„Beim Bau der ersten Röhre gab es manchmal kein Vorwärtskommen mehr. Der Bergdruck verbog und zerstörte auch die schwersten Stahlträger. Wassereinbrüche und Schlamm füllten den Stollen. Das Gestein war schlechter als prognostiziert, bereits getroffene Preiskalkulationen wurden Makulatur, dem Baukonsortium drohte der Konkurs. Nichts war prognostizierbar.“

Wie bereitet man sich also auf nicht prognostizierbare Störzonen vor? Wie wird der Verkehr durch die Tunnel geführt? Welchen Einfluss hat der Klimawandel mit seinen heftigen Starkregen und Stürmen auf den Tunnelbau? 

Valentina Kumpusch ist Technikerin, Bauingenieurin, Diplomation, Mediatorin und Managerin in Personalunion. Für ein Bauvorhaben, das als Nord-Süd-Achse eine der wichtigsten Verbindungen für den Personen- und Warenverkehr in ganz Europa ist. 

Allein all diese nur kurz genannten komplexen Herausforderungen meistern zu müssen, würde mich schon völlig überfordern. Je mehr ich mich mit Valentina Kumpusch und dem Thema Tunnelbau beschäftige, desto größer wird mein Respekt und der Hut, den ich vor ihr ziehe. Überhaupt, ein Bauprojekt koordinieren, das 10 Jahre dauert, ist für mich persönlich einfach unvorstellbar. Was für einen langen Atem man dafür braucht. Nichts da mit „instant gratification“ und unserer Amazon-Prime-same-Day-alles-sofort-und-jetzt-Mentalität. Und wenn ich mir vorstelle, welche unerwartbaren Probleme allein in den letzten zwei Jahren auftraten - globale Pandemie, globale Lieferengpässe, Krieg in Europa - will ich mir kaum ausmalen, was das alles für ein Mammutbauprojekt bedeutet und wie flexibel dann sicher doch geplant und umgesetzt werden muss. 

Im August 2022 übernimmt sie übrigens das nächste große Ding. Sie wird Vizedirektorin des Bundesamts für Strassen (ASTRA) und Leiterin der Abteilung Strasseninfrastruktur West und veranwortet damit die Nationalstrasseninfrastruktur in der Westschweiz und im Kanton Bern sowie die Erhaltungsplanung und den Betrieb der Nationalstrassen in der gesamten Schweiz.


#uschiqualities: Was können wir von der Ingenieurin lernen?

In Sachen „Geile-Uschi-Qualitäten“ können wir von Valentina Kumpusch viel lernen. Nein, keine Sorge, niemand muss jetzt anfangen, irre Bauwerke zu konstruieren, die Zugspitze zu durchbohren und mit Milliardenbudgets zu jonglieren. 


Keine Angst vor GROSS!

Aber was wir uns von Valentina lernen können, ist, keine Angst vor den ganz großen Dingen und Projekten in unserem Leben zu haben. Was auch immer „ganz groß“ für jede:n von uns ganz persönlich bedeutet. „Ganz groß“ geht auch oft einher mit „viel Verantwortung“ übernehmen. Auch da können wir uns von Valentina inspirieren lassen. Trauen wir uns zu, Verantwortung zu übernehmen! Auch für die ganz ___STEADY_PAYWALL___ großen Klopper. Haben wir auch keine Angst vor großen Zahlen, großen Budgets und großen Honoraren.

Valentina Kumpusch

Keine Angst vor Herausforderungen! 

Die Herausforderungen, die bei so einem Projekt gemeistert werden müssen, sind unfassbar komplex. Aber auch das scheint Valentina Kumpusch nichts auszumachen. Im Gegenteil, sie ist sich darüber bewusst, dass, sobald eine davon gelöst ist, schon wieder drei neue auf sie warten. Aber das kalkuliert sie ein. Es gehört eben zum Job (und eigentlich nicht auch zum Leben … ?) dazu: „Natürlich werden sich weitere Herausforderungen ergeben. Aber ich bin sicher, dass wir auch diese mit Mut, Engagement und Professionalität bewältigen werden“, sagt sie im Interview mit gotthardtunnel.ch. Herausforderungen also nicht als Bedrohung betrachten, sondern als Normalität und sogar als Geschenk, denn sie sagt

„Es ist sehr spannend und es besteht keine Gefahr, sich zu langweilen.“. 


Leidenschaft! 

„Die Eröffnung der zweiten Gotthardröhre planen wir für 2029. Ich bin sicher, dass wir dieses Ziel erreichen werden; daran habe ich keinen Zweifel. Mein Team und ich arbeiten jeden Tag hart und leidenschaftlich daran, dieses Ziel zu verwirklichen.“

Große Projekte fordern großen Einsatz und große Leidenschaft. Das ist der Motor, der Antrieb, der auch dann hilft, wenn wieder mal fünf riesige Teil-Herausforderungen auf einmal bewältigt werden müssen. 


Frau? Gut so!

Wie so oft, wenn es um Pionierinnen geht, geht es auch in fast allen Artikeln über Valentina Kumpusch immer wieder darum, dass sie als erste und einzige Frau solch ein Jahrhundertprojekt stemmt und sich in einer Männerdomäne behaupten und durchsetzen musste. Und an dieser Stelle trete ich, als Gründerin des GUK, immer wieder in das selbe Dilemma-Fettnäpfchen. Denn natürlich sind diese Geschichten spannend und ich nehme beim Lesen Anteil an den (frauenspezifischen?) Herausforderungen von Valentinas Weg ganz nach oben auf der Karriereleiter. Natürlich will ich hier auch lernen und verstehen, wie sie das denn alles gemeistert hat. Gleichzeitig ist unser Anspruch und unsere Mission bei den Uschis, dass wir genau diese Narrative nicht mehr erzählen und weiter verbreiten möchten. Denn so kommen Frauen nie aus der Ausnahme- und Exotinnen-Schublade raus, und so kann sich nie eine Selbsverständlichkeit und damit auch eine neue Realität und Normalität entwickeln. 

Also filtere ich hier, ganz bewusst und suche nach den Vorteilen und nicht den Nachteilen und Schwierigkeiten. Ein Vorteil als Frau in der männerdominierten Tunnelbaubranche das Sagen zu haben, ist, dass die Männer mit ihrem Gegockel aufhören. „Männer inszenieren sich zuweilen als die ganz großen Experten. Mir gegenüber haben aber viele weniger Konkurrenzängste. Es geht weniger um Selbstdarstellung und mehr um Inhalte.“ Das verrät Frau Kumpusch im Interview mit der ZEIT. Sachliche relevante Fokussierung auf Inhalte mal eben eingetauscht gegen überflüssige und nervige Machtspielchen und Konkurrenzkämpfe – das finde ich richtig gut und stark. Valentina sagt in einem anderen Interview mit gotthardtunnel.ch außerdem dazu:

„Ich glaube nicht, dass es einen Unterschied macht, eine Frau zu sein. Es geht eher um die Erfahrung im Management solcher Projekte, das Interesse am Projekt selbst und somit die Motivation, es von A bis Z durchzuziehen.“ 


Bei queens-of-structure sagt sie im Interview: Am Anfang der Zusammenarbeit muss man viel Selbstsicherheit aufbringen.

„Wenn man einmal verstanden hat, wie es funktioniert, finde ich, hat man als Frau mehr Freiheiten. Die Männer fühlen sich nicht zum Kräftemessen herausgefordert, und man kann viel besser zusammenarbeiten. Wenn man mit einer offenen Haltung in das Gespräch reingeht, wird einem mit Offenheit begegnet.“

Frauennetzwerke? Findet sie schwierig, wie sie ebenfalls bei queens-of-structure sagt:

Zudem findet sie eine Haltung vor, die ihr als zu abweisend und zu wenig offen für eine gute Zusammenarbeit mit männlichen Kollegen vorkommt. Es komme aber genau darauf an, mit Offenheit in die Situationen hineinzugehen, um Möglichkeiten nutzen zu können, wie sie nochmals betont.“

Vereinbarkeit als Selbstverständnis und Verpflichtung 

Valentina Kumpusch ist verheiratet und hat ein Kind. Nach der Geburt ihres Sohnes steigt sie zu 80% wieder in ihren Beruf ein, was mit der Unterstützung durch ihren Partner (ebenfalls Bauingenieur) gelingt. „Der Staat und ich haben viel investiert in meine Ausbildung, ich fühle mich auch verpflichtet, mein Wissen anzuwenden und weiterzugeben, so ein Projekt zu führen. Ich habe etwas davon, die Gesellschaft hat etwas davon, und auch der Familie geht es gut damit.” (queens-of-structure)


Social Media? Öhm. Nein. 

Natürlich ahnte ich es. Valentina Kumpusch hat keinen Instagram-Account. Und an dieser Stelle geht mir der Song “Zu geil für diese Welt” von den Fantastischen Vier durch den Kopf. Denn ja. Valentina Kumpusch ist zu geil für diese Social Media Welt. Sie hat wahrlich besseres, wichtigeres, relevanteres und weit größeres zu tun. Sie managed den Schweizer Straßenverkehr und bohrt einen Tunnel durch das Gotthard-Massiv. Und das ist so verdammt geil. Verdammt #geileuschi. 


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Ein Artikel von Henriette Frädrich