"Dieser Tiefschlag war das Beste, was mir je passiert ist": Fotografin Corinna Mamok über ihre Fehlgeburt
Text: Gastautorin Corinna Mamok
Im Sommer 2018 hatte ich das wohl schmerzhafteste Erlebnis meines Lebens. Ich war schon oft in meinem Leben mit dem Tod konfrontiert, aber nicht so. Ich war ungewollt mit Zwillingen schwanger und erlitt eine Fehlgeburt. Meine bisherige "heile Welt" war zerstört. Mein Mann und ich hatten bereits zwei Kinder. Ich durfte aufgrund von gesundheitlichen Risiken keine weiteren Kinder mehr bekommen. Als ich von den Zwillingen erfuhr, habe ich mich dennoch dafür entschieden. Zwei Tage nach meiner Entscheidung gingen sie von allein ab. Ich dachte, ich mache einfach weiter, denn hey ich war statistisch eine von fünf Frauen, denen sowas passiert. Warum so eine Welle machen?
Ich war frustriert und wütend und nach zwei Wochen merkte ich, dass ich so nicht weitermachen konnte. Ich gönnte mir den Totalabsturz. Ich fragte mich, was der Sinn des Ganzen war, aber ich fand keinen. Da war nur Wut und Trauer. Doch nach ein paar Wochen, nachdem die Hormone langsam abgebaut waren, dachte ich über mein Leben nach. Ich stellte fest, dass ich Teil eines Hamsterrades war. Ich lag die letzten Jahre quasi unbemerkt im Koma und erst der Schmerz rüttelte mich langsam wach. Ich hatte zwei Kinder, einen Mann, ein Haus, zwei Hunde, zwei Jobs, verschiedene andere Tiere, Hobbys, Freunde und was man sonst noch so im Leben hat. Ich war quasi rund um die Uhr beschäftigt und fühlte mich dennoch plötzlich unfassbar leer.
Ich entschloss mich, mein Leben endlich selbst in die Hand zu nehmen und zu lernen, wie man lebt. Ich fing an, alles radikal umzustellen. Ich stand um vier Uhr morgens auf, ernährte mich von heute auf morgen zuckerfrei, machte Sport, las in einem Jahr 34 Bücher. Ich war bereit für ein neues Leben. Ich überlegte mir ein Projekt. Ich wollte etwas in meinem Leben, das mir Spaß machte, mich forderte und vor allem einen Sinn hat.
Also startete ich ein Projekt zum Thema “Vereinbarkeit von Beruf und Familie”. Ich beschloss, 25 Frauen zu dem Thema zu interviewen und fotografisch zu begleiten. Gleichzeitig kündigte ich meinen Job und machte meine nebenberufliche Tätigkeit zu meiner hauptberuflichen Tätigkeit. Diese ganzen persönlichen Veränderungen brachten nicht nur positives mit sich, sondern auch viel Disharmonie innerhalb der Beziehung. Ich, die Frau die 32 Jahre lang nicht allein die Grenzen des eigenen Bundeslandes verlassen hatte, wollte plötzlich allein in die Schweiz und durch ganz Deutschland fahren, um andere Frauen zu treffen. Es waren Monate des Umbruchs.
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Ich dachte, ich wäre auf der Suche nach der Antwort auf die Frage "Wie machen andere Mütter das bloß?!" Ich wollte herausfinden, wie andere Mütter leben. Nach acht Monaten stellte ich allerdings fest, dass ich etwas ganz Anderes gesucht habe. Mich selbst! Ich hatte mich verloren. Jede dieser Frauen hat mir dabei geholfen, mich ein Stückchen wiederzufinden. Mir wurde klar, dass mein Projekt (“Die Ellasgirls”) ein Versuch war, etwas zu erschaffen, dass größer ist, als es der Schmerz war.
Seitdem lautet meine Mission, anderen Frauen zu zeigen, wie man ein selbstbestimmtes und mutiges Leben führt, und dass es Grenzen nur im eigenen Kopf gibt. Mittlerweile habe ich einen Buchvertrag, ich schreibe ein Buch über meine Erkenntnisse und kann es selbst kaum fassen.
Ich bin dankbar für die Fehlgeburt, ich kann gar nicht sagen wie sehr. Ich empfinde auch keinen Schmerz mehr, was das angeht. Es klingt komisch, aber dieser Tiefschlag war eines der besten Dinge, die mir je passiert sind. Seitdem gibt es keinen Kompromiss mehr, was mein Leben angeht. Ich will nicht nur ein bisschen leben, sondern ganz.
Ich komme mir oft blöd vor, wenn ich diese Geschichte erzähle, denn es ist nichts, worüber ich mich definieren möchte. Es fühlt sich nicht mehr als Schicksalsschlag an, sondern als Anfang für ein neues Kapitel. Und deshalb gehört es dazu. Es war der Arschtritt, den ich gebraucht habe. Ich bin glücklich und dankbar, dass ich ihn erhalten habe. Das kann nicht jeder verstehen, aber das ist genau das, was ich fühle.
Ich finde, es zeigt halt so schön, wie das Leben läuft. Dir passieren Dinge, die absolut ätzend sind. Und dann ist es deine Aufgabe, aufzustehen. Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, in der Scheiße nach dem Geschenk zu suchen. Irgendwas lernt man immer dabei. Es kommt immer auf die Perspektive an.