Stadt, Land, Landfrauen: Kuchenbackende Dorfmuttis oder Mega-Netzwerk?
Redaktion: Marie-Christin Spitznagel
So ihr Uschis, ich möchte mit einer Frage einsteigen: Woran denkt ihr, wenn ihr an den Landfrauenverband denkt? Kuchenbackende Dorfmuttis mit Kittelschürze und Gummistiefeln? Oder an den größten Zusammenschluss von Frauen bundesweit, mit über 450.000 Mitgliedern, der auf politischer und gesellschaftlicher Ebene aktiv und einflussreich ist?
Wahrscheinlich an ersteres, obwohl die zweite Antwort (auch) richtig ist.
Tatsächlich habe ich erst von den Landfrauen gehört, als ich nach Süddeutschland zog und meine Schwiegermutter mich fragte, ob ich nicht mitmachen wolle. Schwer vorzustellen, aber meine Begeisterung hielt sich zunächst in Grenzen, denn ich hatte genau dieses Bild der kuchenbackenden Bäuerin im Kopf. Inzwischen bin ich doch Mitglied und ärgere mich, dass dieser Verband so wenig gesehen wird. Denn tatsächlich ist Realität relativ weit von diesem Klischee entfernt.
Alle coolen Leute wollen in die Stadt
Also, warum hat der Landfrauenverband so ein staubiges Image? Ein Grund ist vielleicht, dass das Landleben generell nicht ganz oben auf der Liste mit den heißesten Trends steht. Und das leider auch schon seit einiger Zeit. Über die so genannte „Landflucht“ wird schon seit Jahren immer wieder berichtet. Also schauen wir uns dieses Thema erstmal an.
Auf der Seite deutschland.de werden verschiedene Studien, Untersuchungen und Artikel zu dem Thema zusammengefasst. Demnach leben 77 Prozent aller Deutschen in einer Stadt oder sogenanntem Ballungsraum, also einer Klein- oder Mittelstadt. Das sind die Städtchen bis 100.000 Einwohner. Dabei würden 44 Prozent der Deutschen aber lieber auf dem Land leben. Weniger Stress, weniger Verkehr, mehr Natur. Die meisten Menschen sind auch der Meinung, dass es besser ist, Kinder auf dem Land großwerden zu lassen, als in der Stadt.
Aber warum zieht es dann alle in die Stadt?
Die Gründe dafür sind zahlreich, aber die am häufigsten genannten Gründe sind Perspektivlosigkeit und eine schlechte Infrastruktur.
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Die Landbevölkerung schrumpft und veraltet seit über 20 Jahren. Das hat natürlich negative Auswirkungen auf Land und Stadt. Die Städte sind überfüllt und die Mieten explodieren fröhlich vor sich hin. Die ländlichen Gemeinden überaltern und die geringere Nachfrage für generell spannende, junge Dinge führt zu weniger Angeboten, die dazu führen, dass das Landleben unattraktiver wird, mehr Menschen wegziehen, was zu weniger Nachfrage führt, was zu weniger Angeboten führt. (Und so weiter)
Also zieht jeder gelangweilte Mittzwanziger aus einem Tübinger Vorort nach Kreuzberg und wundert sich, warum da keiner mehr berlinert. Ich verhalte mich ja generell lieber antizyklisch (weil ich lieber da bin, wo ich nicht so vielen Menschen begegne) und ziehe von Berlin-Tegel (über Umwege) in die südbadische Provinz.
Nun aber zu den Landfrauen
So, wir kennen jetzt das Hauptproblem: Alle ziehen in die Stadt, weil es da bessere Möglichkeiten gibt, mehr Jobs, ÖPNV, Ärzte und Unterhaltungsangebote, auch wenn sie vielleicht lieber auf dem Land leben würden. Außerdem ist Landleben unsexy und Steingartenspießertum. (Ist es natürlich nicht, aber wir benutzen mal alle Klischees.)
Was hat das also mit den Landfrauen zu tun? Einfache Antwort: Dieser Verband kämpft gegen das verstaubte Image der Landbevölkerung und setzt sich aktiv dafür ein, die Lebensqualität in ländlichen Gebieten zu verbessern. Das machen sie sogar sehr erfolgreich und dennoch hört man so wenig von ihnen.
Natürlich gehe ich davon aus, dass es vor allem sexistische Gründe hat, warum ein Verband mit so vielen Mitgliedern so wenig Aufmerksamkeit bekommt. Klingt ja auch schon unspannend. Landfrauenverband. Erwartet man da dann politischen Einsatz für die Mütterrente oder Digitalisierung auf dem Land, oder eben halt eine Kochbuchsammlung mit den größten Hits von 1965?
Mehr Mitglieder als die GDL
Nur mal so zum Vergleich, die GDL, die gerade erst den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland störte und über deren Vorsitzenden permanent berichtet wurde, hat nur 37.000 Mitglieder. Zugegeben, die Landfrauen stören nicht so viel, aber sie könnten. Wenn sie wollten. Aber sie arbeiten lieber konstruktiv.
Tatsächlich boten die Landfrauen vor der Bundestagswahl Onlineveranstaltungen an, in denen die Wahlprogramme darauf untersucht wurden, wie sie Frauen in ländlichen Gebieten unterstützen, bzw. wie sie ihre Anliegen betrachten. Dazu gehören natürlich die großen drei – Gesundheit, Infrastruktur und Klima. Mehr Ärzte, eine bessere ÖPNV- und Internetverbindung, bessere Förderung von klimafreundlicher Landwirtschaft. All das sind konkrete Themen, mit denen die Landfrauen sich beschäftigen.
Gar nicht mal so altbacken, sondern richtig aktuell und wichtig.
Gerade der Mangel an Angeboten hat Folgen für Frauen, mit denen sich der Verband beschäftigt. „Unterbezahlte Teilzeitjobs und der tägliche Stress mit einer unzureichenden Infrastruktur. Parallel dazu liegen weibliche Wissens- und Erfahrungswerte brach oder gehen durch Abwanderung verloren.“ Hier setzen sich die Vertreterinnen der Landfrauen größtenteils ehrenamtlich auch auf Bundesebene durch Petitionen und Informationsveranstaltungen ein. Aber auch durch konkrete Vernetzungs- und Schulungsangebote arbeiten die Landfrauen daran, die Strukturen in ländlichen Gebieten zu verändern und für junge Frauen attraktiver zu machen.
The Coolness of Dorf
Also, fassen wir mal zusammen: Stadt ist wesentlich gefragter als Land. Aber nicht unbedingt, weil Menschen Landleben generell doof finden. Fast die Hälfte der Deutschen würde lieber in ländlichen Gebieten leben, aber nur weniger als ein Viertel tut es tatsächlich.
Schuld sind schlechte Infrastruktur und mangelnde Angebote für Arbeit und Freizeit. Wenn es eine Gruppe in Deutschland gibt, die tatsächlich etwas dagegen tun kann, dann sind es wahrscheinlich die Landfrauen.
Mit der Initiative „Junge Landfrauen“ wurden jetzt gezielt Angebote für junge Frauen geschaffen, um sich zu vernetzen und miteinander Landleben zu gestalten. Dazu gehören nicht nur politisches und gesellschaftliches Engagement, sondern auch Freizeitaktivitäten, mit denen man natürlich auch die Lebensqualität auf dem Land gemeinsam aufwerten möchte.
Ja, ich bin natürlich etwas parteiisch, weil ich hier in meinem Dörfchen Mitglied bei den Landfrauen bin und diese Gruppe toll finde. Aber tatsächlich hat es mich auch einfach geschockt, nach ein bisschen Recherche festzustellen, wie viel Einfluss und Macht dieser Verband hat bzw. haben könnte.
450.000 Mitglieder ist eine beeindruckende Menge. Damit kann man eine Menge geilen Scheiß anstellen – von Frauen für Frauen und somit gehört dieser Verband auf jeden Fall ins Uschiversum!
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Ein Artikel von Marie Spitznagel
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