Mit voller Wucht gegen Rassismus: Idil Baydar
Redaktion: Marie-Christin Spitznagel
Liebes Uschiversum, ich schreibe ja unheimlich gerne über krasse Uschis, die gegen die Mauern des Patriarchats anstürmen, Traditionen herausfordern und dadurch natürlich auch Unmut auf sich ziehen. Aber unsere Uschi des Tages hat diesen »Unmut« richtig heftig zu spüren bekommen, auf eine Art und Weise, die ich niemandem wünsche, und die leider aber gerade WoC (Women of Color) häufig betrifft. In Deutschland sagt man ja nicht »Person of Colour« oder »Women of Colour«, sondern man sagt »mit Migrationshintergrund«. Was ich seltsam finde, weil dieser Hintergrund bei vielen Menschen schon zwei Generationen oder mehr zurückliegt. Aber ich möchte mich nicht an Begrifflichkeiten hochziehen, denn sonst enden wir noch in einer Z***-Saucen Diskussion und das braucht an dieser Stelle wirklich niemand.
Zurück zu unserer aktuellen geilen Uschi. Idil Nuna Baydar ist den meisten Menschen hauptsächlich unter den Namen ihrer Kunstfiguren “Jilet Ayse” und “Gerda Grischke” bekannt. Eine türkische Teenagerin aus Kreuzberg und eine Berliner Nazi-Oma, die sich in vielen Ansichten ähneln statt unterscheiden.
In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau sagt Idil: »Ich liebe meine Gerda Grischke. Gerda ist sich nicht wirklich bewusst darüber, dass sie ein Nazi ist. Diese Naivität hat auch etwas Rührendes. Ich achte meine Figuren sehr. Dann ist da noch die Jilet Ayse, die eigentlich nicht wirklich anders als die Gerda ist. Das sind zwei Seiten einer Medaille.«
Schon in ihren ersten Videos, die sie ab Dezember 2011 auf YouTube veröffentlichte, äußert sie durch ihre Kunstfiguren beißende Kritiken an der Art, wie wir in Deutschland mit Migranten umgehen. Die Millionenklickgrenze durchbrach sie bald und entwickelte 2014 ihr erstes abendfüllendes Comedy-Programm. Seitdem tritt sie in verschiedensten Kabarett- und Comedy-Formaten auf Bühnen und im Fernsehen auf.
Wenn man Frauen mit Meinung als Bedrohung betrachtet
Welchen Hass könnte nun eine Frau auf sich ziehen, die im Internet fröhliche Videos veröffentlicht, möchte man jetzt naiv fragen. Oder fragte ich mich. Das alleine zeigt schon das Privileg, das ich als weiße, blonde Frau in diesem Land habe.
Als ich begann zu dem Thema zu recherchieren, musste ich feststellen, dass in den letzten drei Jahren die NSU 2.0 gerne WoC bedroht, die sich in der Öffentlichkeit äußern. Neben Idil sind es zum Beispiel die NSU-Opferanwältin Seda Basay-Yildiz und die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah, die massiv bedroht werden. Weiße Frauen, die politisch weit links eingeordnet werden, sind die nächsten auf den Bedrohungslisten der Neurechten. Dazu gehören Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende der Linke im hessischen Landtag oder auch die Berliner Linke-Fraktionschefin Anne Helm. Auch Idil bekommt seit 2018 regelmäßig Morddrohungen per SMS, die über eine anonyme Plattform verschickt werden.
Im November 2019 hielt sie in Mölln Ihre Rede zum Gedenken an die Opfer des Brandanschlags 1992. Vorher kamen acht Todesdrohungen bei ihr an. Wie schon einige Frauen vor ihr, wird auch bei ihr versucht, sie durch Angst und Druck zum Verstummen zu bringen. Dass diese Bedrohungen durchaus ernstgenommen werden müssen, zeigt aber auch der Mord an Walter Lübke oder der Amoklauf in Hanau. Eine Trauerfeier hierfür musste vor kurzem wegen der Coronaauflagen abgesagt bzw. im kleineren Rahmen durchgeführt werden, die Demonstration am 29. August gegen die Coronamaßnahmen in Berlin durfte aber durchgeführt werden. Darüber kann man auch mal nachdenken.
Welche Rolle spielt eigentlich unsere Polizei?
Wenn ich bedroht werde, wenn es Morddrohungen gegen mich und meine Familie gibt, dann gehe ich zur Polizei, denn die ist da, um mich zu beschützen! Ganz klar, oder?
Eigentlich schon. Aber uneigentlich scheinbar nicht.
Idil schildert ihre Erfahrung bei der Polizei so: »... nun wurden acht Anzeigen eingestellt und ich musste aus der Zeitung erfahren, dass meine Daten abgerufen wurden von einem Polizeicomputer in Wiesbaden. Das habe ich nicht von der Polizei erfahren. Ich erfahre überhaupt gar nichts von der Polizei.«
»(...) Nun bin ich niemand, der ständig die Polizei braucht. Aber als ich letztes Jahr mehrfach mit dem Tod bedroht wurde, habe ich achtmal Anzeige erstattet und jede dieser Anzeigen wurde eingestellt. (...) Der Täter konnte nicht ermittelt werden. Das hat mich irritiert. Die Nachrichten kamen auf mein Telefon von einer Plattform namens 5vor12, von der anonym Nachrichten verschickt werden können. Die Plattform war bereit, die Daten rauszurücken, aber die Polizei hat das offenbar nicht einmal angefragt. (...) So was irritiert natürlich schon sehr. Offenbar hat der Chaos Computer Club mehr Möglichkeiten als die Polizei. (...) Ich war damit nur einmal direkt bei der Polizei. Da wurde ich gefragt, wie meine Nummer überhaupt öffentlich werden konnte und dann wurde ich noch – was mich noch mehr verwundert hat – zu einem Facebook-Post befragt, den ich verfasst habe. Da hatte ich geschrieben, dass die Polizei mir entweder nicht helfen will oder nicht helfen kann. Danach habe ich alles weitere an meinen Anwalt abgegeben.« (Zeit Interview)
Und jetzt?
Wie in anderen Fällen auch, wurden Polizeicomputer benutzt um Daten von Menschen abzufragen, die dann massiv bedroht wurden. Das Vertrauen in die Institution Polizei wird dadurch natürlich erschüttert. Nicht nur bei den Opfern, sondern auch bei jedem, der diesen Umstand als falsch empfindet.
Es tut mir leid, liebe Uschis da draußen, dass ich diesen Text nicht fröhlicher beenden kann, denn mir macht das Bauchschmerzen. Wie schnell gewöhnen wir uns daran, dass Frauen, mit welchem Hintergrund auch immer, die laut sind, bedroht werden?
Finden wir das irgendwann nicht mal mehr erwähnenswert, bis der nächste Mensch, der sich offen für mehr Menschlichkeit und gegen Ungerechtigkeit ausspricht, auf seiner eigenen Terrasse von einem »verwirrten Einzeltäter« erschossen wird?
Gibt es dann Blumen und Menschenketten (mit Abstand) und Kerzen, bis etwas anderes in den Medien wichtiger ist?
Wird währenddessen unsere Polizei von Rechten unterwandert, die ihre Möglichkeiten nutzen, um Privatadressen und Telefonnummern der nächsten Opfer rauszusuchen?
Wo ist der Aufschrei der guten Polizisten?
Wenn Horst Seehofer sich laut vor die Polizei stellt und sich gegen einen »Generalverdacht« wehrt, sollte es ihm dann nicht besonders wichtig sein, die Täter zu finden, um die Institution Polizei wieder vertrauenswürdig zu machen?
Mir fällt ein Zitat aus meinem Lieblingscomic ein:
»Who watches the Watchmen?«
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