Warum die Netflix-Hype-Serie "Bridgerton" einfach nur nervt
Redaktion: Marie-Christin Spitznagel
Uschi, wie hältst du es mit Bridgerton?
Liebe Uschis da draußen – wir müssen reden. So wie Gretchen ihrem Heinrich (ich studiere jetzt Literatur, merkt man, oder?) in Faust 1 diese wichtige Frage stellte, richte ich mich jetzt an euch.
Wie haltet ihr es mit Bridgerton? Der quietschbunten Fantasy-Regency, Gossip Girl meets Jane Austen, angeblich, aber nicht wirklich, farbenblind gecastete Heiratsmarktverherrlichung, gemischt mit etwas Emmanuelle im 90er Jahre RTL2 Nachtprogramm, die gerade auf Netflix läuft und die Herzen von ... bestimmt einigen Menschen höher schlagen lässt.
Aber meins nicht. Ich bin tatsächlich leider nicht sonderlich begeistert und ich sage euch natürlich mit Freude auch warum.
Was bisher geschah
Der Plot der Serie ist ziemlich simpel und trieft nur so von Romanzenklischees. Während der Londoner Ballsaison, die in der Serie nicht wie in der Realität im Winter stattfindet, sondern in einem für englische Verhältnisse ungewöhnlich sonnigem und trockenen Sommer, buhlen reiche, privilegierte Familien um Ruhm, Prestige und gute Ehepartner für ihre Nachkommen. Im Fokus stehen die Familien Bridgerton und Featherington, die ihre Töchter beim ersten Debütantinnenball der Königin präsentieren. Es gibt einen heiß begehrten und unerreichbaren Junggesellen Duke of Hastings, der NATÜRLICH auf einem Ball mit der hübschen, von der Königin gelobten Tochter Daphne der Bridgertons zusammenstößt (mein Klischeealarm begann hier schon laut zu schlagen). Die beiden finden sich erstmal schrecklich (DingDingDing), beschließen aber später eine Romanze vorzuspielen, damit Daphne die von ihrem überprotektiven großen Bruder verscheuchten heiratswilligen Junggesellen wieder anlocken kann (auch hier: Ding goes the Klischeealarm) und damit der Duke seine Ruhe vor Müttern hat, die versuchen ihm ihre Töchter anzudrehen (Da-Ding).
Es gibt noch viele weitere Nebenhandlungen, aber dabei soll es erstmal bleiben, denn um diese beiden dreht sich der Hauptplot und zwei meiner mannigfaltigen Probleme mit dieser Serie. Nur noch eine zentrale Figur sei erwähnt: Lady Whistledown. Sie ist das Gossip Girl der Serie. Eine Unbekannte, die über ein in der damaligen Zeit tatsächlich nicht seltenen Scandal Sheet die Geheimnisse der Reichen und Schönen verbreitet. Geheimnisse, die wahrscheinlich auch nur diese interessieren, weil die englische Unterschicht zu sehr beschäftigt war mit nicht lesen können und überleben. Bis zur letzten Minute der letzten Folge weiß man als Zuschauer nicht, wer diese Unbekannte ist, die Aufdeckung ihrer wahren Identität war ein guter Twist, meiner Meinung nach.
Aber jetzt ans Eingemachte.
Bang Bang Bangedy Bang
Ich bin sicher nicht prüde, aber meistens entscheide ich mich gegen eine Serie, in der schon in den ersten zehn Minuten übertrieben lange Sexszenen stattfinden. Ich bin einfach kein Fan von diesen FSK 16 Softpornos. Ja, vielleicht ist das engstirnig und diese Einstellung hat mich auch fast davon abgehalten die wundervolle Serie Sense8 zu schauen, aber ich muss nicht 90 Sekunden lang einem hüpfenden Hintern zusehen, der so tut, als würde er eine äußerst euphorische Frau gegen einen Baumstamm nageln. Und in dieser Serie wird unheimlich viel gevögelt. Also, schön für die Charaktere und ich finde es auch toll, dass die Sexszenen, nicht (nur) aus einer männlichen Perspektive gezeigt werden. Es ist nicht – Penis hart – Penis rein – Frau hat megakrassen Orgasmus nach 10 Sekunden. Das ist schön, aber dennoch, während der zwanzigsten Sexszene kann man auch einfach schnell aufs Klo gehen und sich einen Kaffee machen, Zeit genug hat man und man verpasst nichts Wichtiges (nur in einer Situation, aber über die schreibe ich erst im Spoilerteil).
Aber zu den positiven Aspekten. Die Serie ist unheimlich schön. Also visuell. Die Farben, die Sets, die Schauspieler – alle schön. Mir ist es tatsächlich auch vollkommen egal, dass die Kleider, die Musik, die Frisuren eben nicht historisch 100 Prozent korrekt sind, sie sind einfach schön. Natürlich sehe ich gerne schöne Sachen an. Die Serie spielt in einer Fantasy Version der Regency Ära, das Jahr wird mit 1813 benannt. Der Mad King George III ist (auch in der Realität) auf Grund einer chronischen Krankheit und dem Verlust seiner Tochter, nicht mehr in der Lage zu regieren, also übernimmt der Prinz die Regierungsgeschäfte, daher auch der Name der Epoche. Der Prinzregent Georg August Friedrich von Hannover taucht allerdings in der Serie nicht auf. Dafür aber seine Mutter Königin Charlotte, die in der Serie von der fabelhaften Golda Rosheuvel gespielt wird. Sie ist in dieser Serie schwarz, tatsächlich gibt es unter Historikern auch durchaus eine Debatte darüber, ob die wahre Königin Charlotte nicht schwarz war. Das brachte die Macher der Serie, zu denen auch Shonda Rhimes gehört, auf die Idee beim Casting eben hautfarbenunabhängig zu casten. Wenn schon Fantasy, warum dann hier nicht auch hier? Ich finde das gut. Allerdings ... ganz so farbenblind war das Casting dann doch nicht, denn PoC sieht man nicht wirklich, also weder asiatische oder hispanische Menschen. Das finde ich ein bisschen schade.
Aber was ist denn nun das Problem mit Bridgerton? (Mini Spoilers!)
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Abgesehen von dem ganzen Sex, der Farbenpracht und dem Geheimnis um Lady Whistledown ist die Serie wirklich eine ganz simple Romanze, die ganz simplen und altbewährten Erzählmustern folgt. Es ist wenig Neues oder Aufregendes dabei. Die Idee der schwarzen Königin, die dann auf die englische Oberschicht ausgeweitet wird, ist sicherlich erstmal spannend, aber dieser Effekt hält nicht über die ganze Serie. Wenn wir alle visuellen Faktoren mal ausklammern, dann kommen wir zu tieferliegenden Problemen, die ich mit der Serie habe.
Erstens gab es im England des 19. Jahrhunderts durchaus schwarze Menschen. Tatsächlich gibt es zahlreiche Hinweise, dass sich schon zu Zeiten des römischen Imperiums PoC in Europa aufgehalten haben, und all das wurde einfach nur durch mangelnde Repräsentation in den Darstellungen der letzten Jahrzehnte irgendwie »vergessen«. Allerdings in der Regel nicht in Machtstellungen. Ob diese Fantasydarstellung hilft, die mangelnde Repräsentation zu korrigieren, weiß ich nicht. Vielleicht stellt sie diesen Anspruch aber auch gar nicht.
Zweitens gibt es eine Szene, in der Daphne sich an ihrem dann Ehemann dem Duke vergeht. Ohne jetzt den ganzen Plot aufdröseln zu wollen, sie beendet den Akt nicht, als er ihr klar macht, dass er nicht weiter machen will, und das wissentlich. Ja, das klingt, wenn man die Serie nicht gesehen hat und nicht weiß wovon ich hier schreibe seltsam, aber stellt euch einfach mal die Szene mal andersrum vor. Der Mann weiß, seine Frau möchte nicht, dass er in ihr kommt und macht dennoch weiter, obwohl sie ihm sagt, er solle aufhören. Ganz klar nicht okay. Hier sind die Rollen umgekehrt, und obwohl er danach wütend mit ihr ist und sie streiten, ist pünktlich zu Staffelfinale wieder alles schick. Das hat mich ziemlich abgestoßen. Sexuelle Übergriffigkeit ist niemals okay, egal wie der Aggressor ist. Es ist nicht nur ein Streit in einer Ehe, sondern ein sexueller Übergriff.
Drittens geht es in dieser Serie im Prinzip einfach darum, dass ein Haufen naiver und unaufgeklärter junger Frauen an Männer verheiratet werden soll, teilweise gegen ihren Willen. Tausend Mal gesehen, leider nicht neu und trotz des ganzen schönen Brimboriums irgendwie schal. Vielleicht auch gerade deshalb.
Ich habe mir mehr versprochen.
Aber, liebes Uschiversum, wie ist denn eure Meinung zu der Serie? Yay oder Nay
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