Depression: Ich bin nicht perfekt, aber ich arbeite an mir

 

Redaktion: Bella Bartels

Liebe Uschis, ihr erinnert euch sicherlich an das Zitat von Nora Tschirner, das Henriette vor einiger Zeit mal auf Instagram geteilt hat. Darin sprach Frau Tschirner offen über ihre Depression. Etwas das, wie ich finde, leider noch immer viel zu selten passiert. Offen über psychische Probleme sprechen und vor allem psychische Probleme zu entstigmatisieren. 

An dieser Stelle möchte ich eine Trigger-Warnung aussprechen, wenn unter euch Uschis oder auch Ottos sind, die selbst unter Depressionen leiden, ich schreibe auch über problematische Verhaltensweisen. Wenn das für euch ein Trigger ist, dann lest diesen Blog lieber nicht.

Also Hi. Ich bin Bella, ich bin depressiv und ich kämpfe jetzt seit einigen Jahren mit Therapie und Medikamenten darum, dass es mir wieder gut geht. Kämpfen bin ich gewohnt, da ich seit 2015 die Diagnose Morbus Crohn mit extraintestinalem Rheuma habe. Auch so ein Thema, über das niemand spricht, ist ja auch eklig, ne. Interessant finde ich, dass mir meine erste Therapeutin damals gesagt hat, es könnte sein, ich würde nie wieder einen Schub haben, wenn ich alles, was mich belastet, in einer Therapie erfolgreich aufgearbeitet haben würde. Tatsächlich bin ich, seit ich regelmäßig Antidepressiva nehme, schubfrei. 

Ich durfte mir wegen beider Krankheiten schon so einiges anhören. „Du bist doch noch viel zu jung, um Rheuma zu haben.“; „Kortison ist aber echt ungesund.“; „Ne, also ich würde ja keine Antidepressiva nehmen, das ist ja schon voll hartes Zeug ne.“; „Ich schreibe Sie jetzt mal zwei Wochen krank und Sie gehen ganz viel an die frische Luft.“; „Stellen Sie sich mal nicht so an.“

Am schlimmsten bisher war die Aussage eines Typen, den ich gerade abserviert hatte und der mir mit äußerster Boshaftigkeit via Instagram entgegenschleuderte: „Interessiert mich eh nicht mehr, du bist ja eh voll gestört, du gehst ja zur Therapie.“ An dieser Stelle viele Grüße an den guten Freund von mir, der mich darauf hinwies, dass der Kerl „ein empfindlicheres Ego als ein Reh im Scheinwerferlicht hatte“. Trotz des tief sitzenden Schocks über diese Aussage musste ich dann doch sehr lachen. Angst habe ich natürlich seitdem trotzdem, das Thema bei Dates anzusprechen.

Ich habe viele Freundinnen, die in Therapie sind oder waren und bewege mich Gott sei Dank in einem Umfeld, in dem man Verständnis für psychische Probleme hat. Selbst mein Arbeitgeber hatte bisher immer vollstes Verständnis dafür, wenn ich krankheitsbedingt ausgefallen bin.
Wie beispielsweise letztes Jahr, nachdem ich eine extreme Panikattacke hatte und erst mal zurück zu meinen Eltern in die Eifel gehen musste, da ein geregelter Tagesablauf nicht mehr machbar war. 


Wer bestimmt denn, was normal ist? 

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Mittlerweile habe ich die Depression eigentlich ganz gut im Griff, aber immer mal wieder packt es mich leider doch und es kostet mich noch immer viel Kraft, meinen Alltag so zu bewältigen wie „normale“ Menschen. Selbst Zähne putzen wird manchmal zur unlösbaren Aufgabe. 

Aber wer bestimmt denn eigentlich, was normal ist? Was ist denn normal? Und was sollte normal sein? 

Ich habe gelernt, aber noch nicht ganz verinnerlicht, dass es völlig ok ist, nicht immer 250% zu geben. Ganz lange wollte ich das „perfekte Leben“ führen. 

Perfekt hieß dabei aber nicht wirklich glücklich sein, sondern eben perfekt. Saubere Wohnung, mega Noten schreiben, 100% auf der Arbeit geben und im Fitnessstudio die Traumfigur anstreben.

Ich habe nie alles davon geschafft und ich habe mich oft selbst bestraft. Habe zum Beispiel nicht gegessen, obwohl ich Hunger hatte oder meine Schuldgefühle und Ängste haben dazu geführt, dass mir schlecht wurde. Es fiel mir irgendwann immer schwerer aufzustehen, mich zu konzentrieren,  gesund zu kochen und auf der Arbeit habe ich ohne Grund angefangen zu weinen.

Einzige Ausnahme, ich war krank, also Erkältung oder Migräne, oder so.
Ich habe ganz lange nicht erkannt, dass ich eigentlich permanent krank war, eben depressiv.


Es ist okay, wenn man von 10 Punkten auf der To-do-Liste nur 5 schafft, oder sogar nur einen. 

Selbst heute fällt es mir schwer, mich mit Freund:innen zu verabreden, oder etwas anderes zu machen, wenn ich weiß, ich habe meine Aufgaben noch nicht alle erledigt. Deshalb ist es ganz gut, dass meine Therapeutin mir dann noch mal vor Augen hält, dass eine saubere Wohnung und gute Noten und Erfolg auf der Arbeit mir nicht viel bringen, wenn ich mich dafür über die Maßen mit Stress und problematischen Gedanken belaste und vor allem kein soziales Leben mehr habe.
Es ist okay, wenn man von 10 Punkten auf der To-do-Liste nur 5 schafft, oder sogar nur einen.
There I said it.

Schaut man sich die Statistiken beim RKI an, dann merkt man, dass psychische Probleme keine Seltenheit sind: „In Deutschland ist die Gesamtprävalenz mit 9,2% höher als der europäische Durchschnitt (6,6%). Bei Berücksichtigung des Schweregrads der depressiven Symptome zeigt sich jedoch nur hinsichtlich der Prävalenz einer leichten depressiven Symptomatik ein Unterschied zwischen Deutschland und dem EU-Durchschnitt (6,3% versus 4,1%), während schwere Symptome sich nicht bedeutsam unterscheiden. Frauen und jüngere Menschen haben in Deutschland häufiger und Männer sowie Ältere (ab 65 J.) seltener eine depressive Symptomatik.“ (Quelle: RKI)


Wir sind einfach nur krank und wollen gerne wieder gesund werden

Und trotzdem ist das Thema noch immer problematisch, man redet lieber überhaupt nicht drüber, druckst drum herum und fühlt sich extrem unwohl zu sagen „Mir geht es psychisch nicht gut. Ich glaube, ich brauche Hilfe.“ Viel zu groß die Angst, dafür entlassen zu werden, Freund:innen oder Partner:innen zu verlieren und wehe dem,  der noch keine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat, bevor er eine Diagnose vom Hausarzt hat oder gar eine Therapie anfängt.

Dabei sind wir einfach nur krank und wir wollen gerne wieder gesund werden. Nur statt uns auszuruhen (wobei das auch eine wichtige Rolle spielen kann), ist das echt harte Arbeit und nicht zu unterschätzen. Ich kann da nur von meiner Therapie sprechen, da andere Therapieformen natürlich auch andere Herangehensweisen bedeuten. 

Ich mache eine Schematherapie. Das heißt, ich lerne darüber, welche erlernten Schemata mich geprägt haben und in welchen Schemata ich mich befinde, wenn etwas im Ungleichgewicht ist und ich dysfunktionale Verhaltensweisen an den Tag lege. Dafür muss ich mein inneres Kind kennenlernen und verstehen. Das ist schmerzhaft, denn es ist oft das innere Kind, dass an einer Stelle stehen geblieben ist, an der es sehr verletzt wurde und Probleme macht.  Jetzt hat es vielleicht Angst, ist wütend oder müde. Als gesunde Erwachsene sollte man dazu in der Lage sein, dem inneren Kind den Schutz  und das Verständnis zu bieten, das es braucht, aber lange nicht bekommen hat. Gut zu sich sein, gesunde Grenzen setzen, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben, ohne perfekt zu sein, dem inneren Kind Raum geben und Vermeidungsstrategien entlarven und abbauen. 

Ziemlich schwierig, wenn man es nicht gelernt hat und vor allem in einer Gesellschaft lebt, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben immer mehr verschwimmen. Von der Grundschule an konditioniert darauf, dass man die besten Noten, den besten Abschluss und den besten Job, das beste Aussehen und die schicksten Klamotten braucht, um eine gute, respektable Zukunft zu haben. Fit sein, um gesellschaftlich respektiert zu werden und um weiterhin gute Leistung im Job zu bringen. Wenigstens krank zur Arbeit gehen hat sich durch Corona Gott sei Dank etwas reguliert. 

„Meiner Depression habe ich ein absolut magisches Leben und Gefühl von tiefer Verbundenheit zu verdanken. Die Depression hat mich gezwungen, genauer hinzuschauen, was ich wirklich brauche: Menschen, Strukturen und sinnstiftende Tätigkeiten.“ - Nora Tschirner

Meine Therapeutin hat mich letzte Woche gefragt, was mich eigentlich wirklich glücklich macht und ich hatte keine Antwort darauf. Ehrlich gesagt habe ich sie noch immer nicht und ich glaube, es könnte noch ein wenig dauern, bis ich die Antwort finde. Sie hat mir verschrieben, für meinen Master ins Ausland zu gehen und mir eine neue Sportart außerhalb meiner Komfortzone zu suchen, um mich auf neues Terrain zu wagen. 


Vielleicht sollte die Gesellschaft lernen, wieder mehr auf sich zu achten und zu reflektieren.

Abschließen möchte ich gerne mit dem Verweis auf das Buch „Irre, wir behandeln die Falschen“.
Psychische Probleme wie Depressionen oder Schizophrenie sind nicht schön, aber eigentlich sind die normalen Menschen das Problem und nicht psychisch Kranke. In einem Interview in der WDR- Lokalzeit sagt der Autor Manfred Lütz: 

„Aber es ist tatsächlich so, wenn man den ganzen Tag über mit den rührenden Demenzkranken, erschütternd Depressiven, hinreißenden Manikern zu tun hat und sieht abends die Tagesschau — Wirtschaftskriminelle, Kriegshetzer und irgendwelche Egomanen — da kann man schon auf den Gedanken kommen, irgendwie behandeln wir möglicherweise die Falschen und unser Problem sind die Normalen.“

Außerdem könnten normale Menschen auch was von uns psychisch kranken lernen, meint Lütz: „Die Unmittelbarkeit, die Echtheit, nicht dauernd in Rollen leben, sondern mal man selbst sein. 

Und psychisch Kranke sind manchmal auf eine unglaubliche Art echt und ehrlich. Und davon können wir Normalos sehr profitieren.“


Irre! Das Problem sind die Normalen: eine heitere Seelenkunde
— Manfred Lütz & Jürgen Becker im alten Wartesaal


Natürlich bin ich nicht glücklich über meine Depression, aber ich habe echt viel Scheiß durchgemacht und sehe es tatsächlich nicht ein, mich dafür schämen zu müssen, jetzt in einer Therapie an mir zu arbeiten, um gesund zu werden. Ich bin dadurch kein schlechterer Mensch. Nur weil es in diese Gesellschaft auf der Überholspur nicht reinpasst, soll ich mich jetzt wieder schlecht fühlen? No way. Vielmehr sollte die Gesellschaft an sich mal lernen, wieder mehr auf sich zu achten und zu reflektieren. Damit würde sich das ein oder andere kleinere oder auch größere gesellschaftliche Problem voraussichtlich schnell lösen lassen. 

Ein gutes Beispiel, wie es geht, wären zum Beispiel die Unternehmen, die jetzt die vier Tage Woche eingeführt haben. Mehr Zeit zur Entspannung, Weiterbildung, weniger Fehltage, gesundheitliche Vorteile, keine Nachteile durch Schichtarbeit. 


Meine liebsten Instagram Accounts zum Thema psychische Gesundheit mit Infos und Hinweisen für Angehörige und Freund:innen von psychisch kranken Menschen:

 

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Ein Artikel von Bella Bartels


Zwei geile Ottos (Torsten Sträter & Kurt Krömer) führen ein Gespräch über Depressionen.


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