Regen macht mir Angst
Redaktion: Bella Bartels
Fünf Wochen ist es jetzt her, seitdem große Teile meiner Heimat von der Flutkatastrophe heimgesucht wurden. Ich liege in meinem Bett in Köln, draußen beginnt es zu regnen und mein Herz beginnt zu rasen. Ich schreibe meiner Mutter eine WhatsApp-Nachricht: „Regnet es bei euch gerade auch so heftig wie bei uns?“ - „Ne, hier regnet es gar nicht“, kommt eine Minute später zurück.
Eigentlich habe ich Regen immer geliebt. Es gab für mich nichts Gemütlicheres, als sich zu Hause mit einer Tasse Tee und einem guten Buch, oder einer Serie einzukuscheln, während draußen der Regen plätschert. Niemand konnte ahnen, was am 14.07.2021 auf uns zukommen würde, welches Ausmaß der Zerstörung diese Katastrophe annehmen würde.
Neben all den Bildern, die ich gesehen habe, wird mir wohl für immer ein Satz im Kopf bleiben, den eine junge Immigrantin zu mir sagte, während wir in einer Halle Sachspenden sortierten:
„Ich komme aus einem Kriegsgebiet und bei uns sah es nicht so schlimm aus wie bei euch gerade.“
Zur Zeit des Unwetters war ich gerade bei meinen Eltern in der Eifel, um mich ein wenig vom Stress des dritten Corona-Semesters zu erholen. Mittwoch Nachmittag wurde mir klar, dass daraus wahrscheinlich nichts wird. Der DWD hatte eine Unwetterwarnung der Stufe violett herausgegeben. Im Radio wurde gewarnt, es könnten Niederschläge von bis zu 200 Liter pro qm fallen. Wird bestimmt nicht so schlimm. Wie zuverlässig sind solche Vorhersagen schon, dachte ich noch am Morgen, während ich den gleichmäßig fallenden Regen draußen beobachtete.
Als gegen 15 Uhr in unserem Dorf das erste Mal für ein paar Minuten der Strom ausfiel und kurze Zeit später die Sirene ging, wurde mir übel. Der Regen fiel zum Teil so stark und dicht, dass man kaum ein paar Meter weit sehen konnte. Um kurz vor sechs kam meine Mutter von einem Ausflug nach Köln zurück, sie erzählte, dass sie in Eicherscheid (eines unserer Nachbardörfer) schon fast nicht mehr durchgekommen sei. Die andere Fahrspur sei schon so hoch überschwemmt gewesen, dass die Autos dort nicht mehr fahren konnten.
Wird bestimmt nicht so schlimm …
Gegen 20 Uhr schaute ich bei Instagram in die Story der Seite „Bad Münstereifel Memes“ und sah eine meterhohe Flutwelle durch Bad Münstereifel fegen, die alles mit sich riss wie Treibgut.
Selbst ein Baucontainer schwamm im reißenden Strom mit wie ein kleines Bötchen aus Papier. Einer Freundin, die vor Kurzem erst wieder aus Köln in die Eifel gezogen war, konnte ich in ihrer Story zusehen, wie sie innerhalb weniger Stunden ihre Wohnung verlor. Sie und ihr Hund konnten nur noch auf der Schaufelgabel eines Traktors von der Feuerwehr aus den Fluten evakuiert werden. Noch immer hatte es nicht aufgehört zu regnen.
Wie im Wahn aktualisierte ich regelmäßig alle sozialen Medien, um auf dem Laufenden zu bleiben, schrieb mit Freundinnen, erkundigte mich, ob deren Familien in Sicherheit sind und sorgte mich darüber, wie sehr die Lage sich wohl noch verschlimmern würde. Meldungen über einstürzende Häuser, Videos von Autos, die im Strom der Wassermassen mitgerissen wurden, während die Bremslichter noch flackerten, ein explodierender Trafo, Dörfer, die evakuiert werden mussten. Wasser, Wasser und Wasser, überall braune Wassermassen, die vor nichts Halt machten, selbst nicht vor unseren Nachbardörfern bergab. All das zog sich durch meine News-Feeds.
Um 23:30 Uhr riss die W-LAN Verbindung ab, auch das Mobilfunknetz war tot. Es regnete noch immer ohne Unterlass. Das Fernsehen war nun das einzige Mittel, um noch etwas erfahren zu können, ließ uns in der Eifel aber schwer im Stich. Der Fokus lag schon den gesamten Abend über weitestgehend auf dem Sauerland und Ruhrgebiet. Also ging ich schlafen, in der Hoffnung am nächsten Tag aufzuwachen und alles sei vielleicht nur halb so schlimm gewesen. Fehlanzeige!
Als ich am nächsten Morgen beim Gassi gehen mit dem Hund den Nachbarn traf, berichtete dieser mir, er wäre gerade schon gucken gewesen, wie es in Schuld aussah: „Dat sieht do ävver schlimm us. Mir fahre jetz schnell nach Wald zom enkaufe, bevür all ausverkauft es.“
Unser Dorf war (der Hanglage sei Dank) bis auf ein paar vollgelaufene Keller von der Katastrophe verschont geblieben.
Mittags stand plötzlich eine Freundin meiner Mutter vor der Tür. Sie und ihr Ehemann hatten sich mit dem Quad von Bad Münstereifel aus irgendwie durch die Wälder geschlagen, weil die normalen Straßen im Tal nicht passierbar waren.
„Können wir bitte ein paar Sachen in euren Kühlschrank packen? Wir haben keinen Strom mehr. Meine Ferienwohnung ist total kaputt, wir haben bis zwei Uhr nachts noch Wasser abgepumpt.“
Bei einer Tasse Kaffee eröffnete man uns dann die traurige Wahrheit: „Die Altstadt von Bad Münstereifel gibt es nicht mehr und jetzt fangen die Leute auch noch an zu plündern.“
Das war zwar nicht besonders überraschend, aber trotzdem wurde der Wackerstein in meinem Magen dadurch zu einem Felsbrocken.
___STEADY_PAYWALL___
Jeden Tag lief der Fernseher von Morgens bis Abends und die schlimmen Bilder und Meldungen rissen nicht ab. Steigende Todes- und Vermisstenzahlen, Bilder der unfassbaren Zerstörung aus Erftstadt, Schuld und Swisttal. Eigentlich musste ich mich auf eine Klausur für die Uni vorbereiten, aber an Konzentration war einfach nicht zu denken. Die Anspannung nahm nicht ab, wurde mit jeder Minute immer größer, wie sieht es in Bad Münstereifel aus?
Die pittoresken Brücken? Zerstört. Das gepflegte Kopfsteinpflaster? Von der Flut komplett weggerissen. Der Asphalt darunter? Weggebrochen.
Es dauerte einen quälenden Tag bis zum Freitagnachmittag, bis es ein Reporter von n-tv in die Innenstadt von Bad Münstereifel schaffte. Tiefe mit Wasser gefüllte Löcher säumten die Haupteinkaufsstraße. Die teils über 500 Jahre alten Fachwerkhäuser? Unterspült und einsturzgefährdet. Schutt und Ladeneinrichtungen, die sich vor den ehemaligen Geschäften türmten. Die pittoresken Brücken? Zerstört. Das gepflegte Kopfsteinpflaster? Von der Flut komplett weggerissen. Der Asphalt darunter? Weggebrochen. Aus dem Felsbrocken wurde ein Gebirge. Das Wasser ließ diverse zerstörte Existenzen und Massen von Schlamm in Bad Münstereifel zurück. Bis zum Sonntag war nicht klar, ob die Steinbach-Talsperre nun halten oder brechen würde. Mir dafür aber, dass ich irgendwie helfen möchte, die Stadt wieder aufzubauen.
Seitdem hat sich so viel getan und doch ist noch immer so viel zu tun.
Viele ehrenamtliche Hände, aber auch THW, Feuerwehr, Bundeswehr, DRK haben in den betroffenen Regionen unglaubliches auf die Beine gestellt. Während ich in der lokalen Notunterkunft zwei Wochen geholfen habe, Sachspenden zu sortieren und auszugeben, durfte ich so viele tolle Menschen aus ganz Deutschland kennenlernen. Viele von ihnen brachen bereits in der Nacht zum 15.07. ohne mit der Wimper zu zucken zu uns in die Eifel auf, um zu helfen. Egal ob aus Bayern, Schleswig-Holstein, oder Sachsen, jeden Tag kamen Lieferungen und Menschen an um die Betroffenen zu unterstützen.
Als ich mich am Dienstag nach der Flut auf den Weg runter nach Bad Münstereifel machte, musste ich mir sehr schnell die Tränen verkneifen. An den Straßenrändern türmte sich teils meterhoch der Schutt und Sperrmüll aus den Häusern der betroffenen Dörfer. In Eicherscheid war der komplette Mittelteil eines Firmengebäudes von der Flut mitgerissen worden. Eine breite Lücke klaffte im gewohnten Bild des Ortseingangs und auch die Straße war dort sehr mitgenommen und provisorisch etwas geflickt worden. Ein Auto hing noch mehrere Tage vor einem Hauseingang im Zaun.
In Bad Münstereifel angekommen fühlte ich mich nicht mehr wirklich wie in meiner Heimat, sondern wie in einem Kriegsgebiet. Fahrzeuge der Bundeswehr, der Polizei und des Technischen Hilfswerk fuhren geschäftig umher, alles war von einer gelb-braunen Staubschicht überzogen und auch hier wieder meterhohe Berge an Schutt, Weißgeräten und Sperrmüll.
Nachdem ich mich in der Mimi-Renno Halle angemeldet hatte, um als Freiwillige Spenden zu sortieren, betrat ich das erste Mal seit meinem Abi-Ball 2013 die Heinz-Gerlach Halle. Was für ein Kontrast zwischen dem damals festlich geschmückten Saal und dem Bild von Massen an Spenden für Menschen in Not auf einem staubigen Boden.
Es folgten 9 -10 Stunden Arbeitstage, da die Lieferungen nicht abrissen und wir für die Betroffenen alle unser Bestes geben wollten. Mit Herzblut, guter Laune und Empathie versuchten wir allen, die zu uns kamen, weiterzuhelfen. Wir hörten viele traurige Geschichten, trösteten, redeten und lachten mit den Menschen.
Besonders emotional wurde der Mittwoch zwei Wochen nach der Flut, an dem zwei Helfende für den Abend einen Lichterzug durch Bad Münstereifel organisierten, dem sich insgesamt 500 Anwohner:innen und Helfende von überall anschlossen. Für mich war es das erste Mal nach der Flut, dass ich die Altstadt betrat. Schweigend und mit Taschenlampen (Kerzen waren im Großteil des Stadtgebietes aufgrund von lecken Gasleitungen nicht erlaubt), zogen wir zur Jesuitenkirche, wo im Flutlicht der Scheinwerfer des THW sechsundzwanzig Kerzen für die Toten aus dem Kreis Euskirchen angezündet wurden. Unter den Füßen der glitschige Schlamm-Boden, zu unseren Seiten die zerstörten Läden, unterspülten Häuser und die kaputten Mauern der Erft-Brücken.
In der Stille das Geräusch von weinenden Menschen, die ihren Gefühlen und dem Schock freien Lauf ließen.
In der Stille das Geräusch von weinenden Menschen, die ihren Gefühlen und dem Schock freien Lauf ließen. Gemeinsam verwandelten wir danach noch die Marktstraße vor dem Rathaus zu einer Lichter-Allee und stellten an beiden Straßenseiten sowie auf der Treppe vor dem Rathaus Kerzen auf.
Danach neigte sich meine Zeit als freiwillige Helferin in der Halle langsam dem Ende zu. Die Energiereserven wurden leer, die Uni, die Arbeit und mein Praktikum warteten auf mich. Nach zwei Wochen verabschiedete ich mich sonntags also schweren Herzens von den anderen Helfer:innen.
„Corona hat uns gesellschaftlich voneinander distanziert, aber diese Katastrophe hier hat uns enger zusammenrücken lassen, als zuvor.“, sagte unser Teamleiter einmal bei einer der Helferbesprechungen zu uns und er hatte damit recht.
In dieser schweren Zeit diesen unglaublichen Zusammenhalt erleben zu dürfen, war für mich ein großes Geschenk. Ich durfte wieder lernen, wie wichtig die kleinen Dinge sind. Ob es eine gemeinsame Fahrt mit dem Pick-up über Land war, um einfach mal kurz abzuschalten, eine feste Umarmung, der tägliche Besuch von Golden Retriever Ashimo in der Halle, das Bier zusammen auf dem Parkplatz nach Feierabend, kleines Glück wurde plötzlich ganz groß.
An dieser Stelle möchte ich mich von ganzem Herzen bei allen Helfer:innen bedanken, die tagtäglich ihre Kraft, und ihre Zeit opfern, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um zu helfen, meine / unsere Heimat wieder aufzubauen. Bitte geht nicht, lasst uns nicht allein, wir brauchen Euch auch weiterhin.
___STEADY_PAYWALL___