Über Tinder und Kapitalismus
Redaktion: Bella Bartels
Ich habe es wieder getan….
und mich auf einer Dating-App angemeldet. Dabei wollte ich das eigentlich nicht mehr machen. Ich bin mittlerweile wirklich lieber alleine oder treffe mich mit meinen Freund:innen, statt meine kostbare Lebenszeit wieder an einen Kerl zu verschwenden, der einen spätestens nach fünf Tagen ghostet.
Manchmal hat Frau dann ja doch mal Lust auf was anderes und Dating-Apps sind so schön einfach. Egal wo man gerade ist, auf der Arbeit, auf dem Laufband, ungeschminkt im Bett, ein Wisch nach rechts und man ist einer neuen Begegnung schon einen Schritt näher. Dafür musste man sich in keine Jeans quälen, (quälen sollte man sich sowieso nicht) und steht auch keine gefühlte Ewigkeit vor dem Spiegel, damit das Außen genauso schön aussieht wie das Innen.
”Wir leben heutzutage eigentlich liebestechnisch in einem Schlaraffenland”
Die Literaturwissenschaftlerin Gunda Windmüller stellt in ihrem Buch „Weiblich, ledig, glücklich, sucht nicht. Eine Streitschrift“ fest, „wir leben heutzutage eigentlich liebestechnisch in einem Schlaraffenland“. Tinder, Bumble, OkCupid, Facebook-Dating, Elite Partner, Parship, Speeddating, Single-Schnitzeljagd und und und.
Ich bin aus tiefstem Herzen Feministin, aber manchmal habe ich schon fast Sehnsucht nach dem neunzehnten Jahrhundert, als die Möglichkeiten der Partnerwahl noch durch diverse Bräuche und Paradigmen eingeschränkt war. Dann denke ich kurz an Effi Briest und alles ist wieder gut.
Hier sitze ich also mal wieder und genieße die Freiheiten der Partnerwahl im einundzwanzigsten Jahrhundert in vollen Zügen. Ich lese mir vor Fehlern strotzende und komisch formatierte Profiltexte durch, gucke mir Fotos an und wische munter nach links und rechts. Die paar Matches, die ich habe antworten nicht, oder nur einsilbig. Ich könnte jetzt auch ein Buch lesen, meditieren oder Malen, aber nein, das soll es wohl heute Abend sein.
Ich glaube ja, jeder hat diese:n eine:n Freund:in im Freundeskreis, die/der der auf Tinder vor zwei Jahren die große Liebe gefunden hat. „Als ich den Andi damals getroffen habe, da wollten wir eigentlich beide nichts Ernstes, aber dann hat’s einfach gefunkt“, jetzt schmieden Alex und Andi Heiratspläne. Gibt’s da einen Trick? Bei mir haben diverse Begegnungen und Chats auf Dating-Apps nur den allgemeinen Wunsch verstärkt, auf eine einsame Insel auszuwandern.
Unsere Gefühle werden vom Kapitalismus kommerzialisiert und umgekehrt der Konsum emotionalisiert.
Die Soziologin Eva Illouz hat allerdings eine ganz simple Erklärung für meine Probleme: den Kapitalismus. Der macht einfach vor nichts Halt, nicht mal vor unserer Gefühlswelt und dem Liebesleben. Liebe ist längst nicht mehr nur eine Emotion. Sie und unser Gefühlsleben sind zu einem kommerziellen Gut, wie Illouz sie nennt „Emodities“ geworden, mit dem man große Gewinne erzielen kann. Dabei ist es oft die Werbung, die verspricht, Menschen könnten mit den beworbenen Produkten glücklich werden oder glücklicher als zuvor. Damit erzeugt sie die Illusion, dass alles auch Gefühle mit Geld erworben werden könnten. Also auch die wahre Liebe. Unsere Gefühle werden vom Kapitalismus kommerzialisiert und umgekehrt der Konsum emotionalisiert.
Gefühlswaren gibt es nicht nur im Supermarkt, sondern auch in unseren Betten
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Was hat das jetzt mit Tinder zu tun? Gefühlswaren gibt es nicht nur im Supermarkt (Rosen, Pralinen, Grußkarten), sondern auch in unseren Betten. Neben der Liebe wird auch der Sex als berauschende Gefühlsware vermarktet. Sex, vor allem einmaliger, ungebundener Sex ohne Verpflichtungen ist heute fast selbstverständlich für unsere neoliberale Gesellschaft.
Und vor allem als selbstbestimmte Frau lassen wir uns heute keinen Schlampenstempel mehr aufdrücken, wenn wir unsere Bedürfnisse inzwischen genauso befriedigen wie unsere männlichen Freunde.
Rotlichtmilieus wie zum Beispiel die Hamburger Reeperbahn sind ein ideales Beispiel dafür, dass Sex als Ware ein fester Bestandteil der kapitalistischen Konsumwelt geworden ist. Man kann Sex heute kaufen und ausleben, wann, wie, wo und mit wem man will.
Schneller und unverbindlicher Sex, ja. Aber macht das auf die Dauer glücklich?
Dating-Plattformen wie Tinder gaukeln zwar vor, bei der Partnersuche helfen zu wollen, tragen aber hauptsächlich dazu bei, schnell und einfach Sex zu bekommen, auch ohne zwangsweise dafür bezahlen zu müssen. Schneller und unverbindlicher Sex, ja. Aber macht das auf die Dauer glücklich? Denn wir Menschen sind ja bekannterweise Poliwesen die Freundschaften und fester sozialer Netzwerke bedürfen, um wirklich glücklich zu sein. Für mich ist die Antwort ganz klar: nein.
Gunda Windmüller schreibt dazu in „Weiblich, ledig, glücklich, sucht nicht“:
„Nach einer Umfrage liegt die Erfolgsquote, beim Online-Dating eine Beziehung zu finden, bei knapp 25 Prozent.“, dabei beruft sie sich auf die Daten einer Umfrage der Harvard Women’s Health Watch. Sie stellt diese Zahl allerdings infrage, da bisher noch keine fundierten Langzeitstudien erfolgt sind, ist es schwierig zuverlässige Zahlen zu finden. „[…]Die Zahlen, die von unabhängigen Instituten erhoben wurden, sind deutlich niedriger: Sie liegen bei 4 bis 6 Prozent“.
Ganz schön wenig, aber trotzdem verliebt sich alle elf Minuten auf Parship ein Single.
Aus potenziellen Partner:innen werden auf dem Liebesmarkt beliebige Optionen eines Handels.
Eva Illouz sieht hier einen weiteren Faktor, warum es so schwierig ist eine:n Partner:in auf Tinder und Co zu finden. Das unverbindliche Dating ist ein großes Hindernis für eine konstante und echte Liebesbeziehung, da Menschen zu einfach zu ersetzenden Gütern geworden sind. Aus potenziellen Partner:innen werden auf dem Liebesmarkt beliebige Optionen eines Handels.
Und leider wird es deshalb nicht nur auf Tinder mittlerweile ziemlich schwierig, eine Beziehung zu finden, sondern ganz allgemein. Hinzu kommen die immer weiter steigenden Ansprüche daran, was potenzielle Partner:innen denn bitte alles mitzubringen haben.
Tja und jetzt? Jetzt sollte man wohl anfangen abzuwägen, wie viel man sich selbst Wert ist und vor allem was es mit der eigenen Wahrnehmung macht, wenn man mal wieder eine Reihe misslungener Tinder-Dates hatte, geghostet wurde, oder direkt nach dem Match wieder gelöscht wurde. Und wer weiß, vielleicht wartet die nächste große Liebe ja demnächst in der Schlange im Supermarkt.
Ich glaube, ich lösche meinen Account wieder. Selbstgespräche führen kann ich nämlich auch ganz gut ohne Apps.