219a - was ist eigentlich das Problem?

 

Redaktion: Marie Spitznagel

So liebe Uschis, dies wird wieder ein informativer Servicepost und keine weitere Gelegenheit, bei der ich einfach mal alles, was mich so aufregt, aufs virtuelle Papier schmeiße, um mich abzuregen. Wobei ich nicht ausschließen kann, mich zwischendurch, wenigstens kurzzeitig, in Gernot Hassknecht zu verwandeln. 

Zum Einstieg möchte ich ein paar grundsätzliche Dinge über meine Sicht und meine persönliche Einstellung loswerden, die es euch Leser*innen ermöglicht, den Text einzuordnen. Ich bin ProChoice. Nur die schwangere Frau hat das Recht, über das, was in ihrem Körper vorgeht, zu entscheiden. Mindestens so lange, bis das ungeborene Kind außerhalb ihres Körpers lebensfähig ist. Ein messbarer Herzschlag ist für mich kein Argument, eine Frau zu zwingen, es auszutragen. Aber das ist nur meine Sicht der Dinge. Ich möchte hier auch gar keine Diskussion über legale Abtreibungen führen, oder über die Tatsache, dass wir in Deutschland eine seltsame Lösung gefunden haben, bei der Abtreibungen eigentlich illegal sind, aber manchmal straffrei.

Es geht um den Artikel 219a, was er aussagt, warum er da ist und warum er jetzt gehen soll. Einfach, damit wir alle mal ausreichend informiert sind. Das Uschiversum hat ja auch durchaus einen Dienstleistungsanspruch.

219a – was sagt der Paragraf eigentlich?

Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuch (StGB) regelt die „Werbung für den Abbruch von Schwangerschaften“. Schauen wir uns den Gesetzestext erstmal genauer an. Er beginnt mit:

(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise

1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder

2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.


Es ist in Deutschland also verboten, Werbeplakate in der Innenstadt aufzuhängen, auf denen für „Abtreibungsbonuswochen – buche zwei, bekomme die dritte umsonst – mach einen Tag mit deinen Mädels draus!“ steht. Okay, ich denke, das kann man gemeinhin als vernünftig betrachten. Kleiner Funfact am Rande: Diese Art von Werbung ist Medizinern in Deutschland sowieso verboten. Deswegen gibt es auch keine LKW-Werbung für Erektionshilfepillen. 

Allerdings wurde dieses Gesetz auch angewandt, um Ärzt*innen, die über die verschiedenen Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruches informierten, zu bestrafen. Der prominenteste Fall ist der der Gießener Ärztin Kristina Hänel, die immer wieder angezeigt wurde, da sie angeblich auf ihrer Website für Abtreibungen werbe. Seit 2009 waren es drei Ermittlungsverfahren. 2017 wurde sie dann zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. 

Und nur um es nochmal zu betonen, sie informierte lediglich darüber, dass und auf welche Weise sie sichere Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Aber der Paragraf 219a machte es möglich, schon alleine die Informationsvermittlung als Werbung zu betrachten. 

Es entbrannte eine öffentliche Debatte über 219a, viele Stimmen forderten ihn zu streichen. Die CDU-Bundesregierung rang sich zu einer „fast, aber nicht wirklich“- Lösung durch, indem sie ihn ergänzte. Es entstand folgender Zusatz:

 (2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen.

(3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird.

(4) Absatz 1 gilt nicht, wenn Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen

1. auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 vornehmen, oder

2. auf Informationen einer insoweit zuständigen Bundes- oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz oder einer Ärztekammer über einen Schwangerschaftsabbruch hinweisen.


Wirklich klarer wird es dadurch aber jetzt nicht. Auch nicht für Frau Doktor Hänel. Sie ging nämlich in Berufung. Der wurde erst stattgegeben und dann wieder nicht. Nach gerichtlichem Pingpong gab es ein neues, niedrigeres Strafmaß vom Landesgericht, das in diesem Zuge auch die widersprüchliche Gesetzgebung kritisierte. Arztpraxen dürfen jetzt im Internet zwar darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, allerdings ist es nicht erlaubt, die Methoden zu erklären oder zu nennen. Wie gesagt, eigentlich keine wirkliche Lösung. Und ich hielt Aufklärung eigentlich immer für eine gute Sache.


Kurze Zwischenfrage – Who the f*ck zeigt Ärzt*innen an?

Das ist eine berechtigte Frage, liebe Lesende. Irgendjemand hat Frau Doktor Hänel ja dreimal angezeigt und viele weitere Ärzt*innen, die über Schwangerschaftsabbrüche informierten. Sowas passiert ja nicht zufällig. Dahinter steckte eine kleine, aber laute Gruppe (wie immer) an radikalen Abtreibungsgegner*innen. Diese Gruppe ist tatsächlich sehr klein. Im Dezember 2018 wurde festgestellt, dass die Anzeigen der letzten Jahre von nur zwei Personen erstattet wurden. Von zwei! Einer von ihnen bezeichnete das sogar als sein Hobby.

Und denen gefällt es natürlich ganz gut, dass durch diesen Quatschparagrafen jede Form von sachlicher Information im Internet verboten wird. Stattdessen landet man, wenn man sich online über Schwangerschaftsabbrüche informieren will, ___STEADY_PAYWALL___auf den Seiten von Abtreibungsgegner*innen, die Bilder von blutigen Föten und Mordvorwürfe posten. Super Ding. Das ist ganz und gar nicht das, was Frauen in der Situation brauchen. 

Diese Abtreibungsgegner haben es zu ihrem Ziel gemacht, nicht nur möglichst viele Frauen von einem Schwangerschaftsabbruch abzuhalten, sondern auch Ärzt*innen, die diese Dienste anbieten, so einzuschüchtern, dass sie diese eben nicht mehr anbieten. Schauen wir uns diese beiden Herren mal ganz kurz an. Aber wirklich nur ganz kurz, weil ich ihnen nicht noch mehr Aufmerksamkeit schenken möchte.

Wir haben einerseits Klaus Günter Annen, der Verbindungen zu evangelikalen und rechtsextremen Kreisen unterhält. Er organisiert bundesweit Proteste gegen Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und erstattete laut Süddeutscher Zeitung seit 2001 gegen über 400 Mediziner Anzeige wegen 219a.

Unterstützung erhielt er durch Yannic Hendricks, der sich lange hinter dem Pseudonym „Markus Krause“ versteckte. Er verklagte sogar diverse Zeitungen, die seinen Namen veröffentlichten. Glücklicherweise hat das Landgericht Düsseldorf eine entsprechende einstweilige Verfügung zurückgewiesen. In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur erzählt er auch, dass er nie Kontakt mit einer ungewollt schwangeren Frau hatte, und „Die Tatsache, dass ich ein Mann bin und keine Frau, also nicht selber schwanger werden kann – ich kann deshalb auch nicht so voreingenommen sein. Sondern auch objektiv damit umgehen.“

Zwei Männer, die aus unterschiedlichen Gründen ihr Hobby oder ihren Lebenssinn darin sehen, andere Menschen anzuzeigen. 

Ich habe jetzt einige Zeilen unter dem letzten Satz angefangen und wieder gelöscht. Wahrscheinlich kann ich nichts weiter zu diesen beiden Männern schreiben, ohne mich wirklich aufzuregen. Deswegen mache ich mir jetzt erstmal einen Kamillentee.


Weg damit, also mit dem Paragrafen, meine ich


So. Ich habe einmal durchgeatmet und denke mir, vielleicht sollten wir uns bei Klaus Günter Annen und Yannic Hendricks bedanken. Durch ihre Inbrunst und Mühe, mit der sie seit Jahren sehr engagiert immer wieder Frauenärzt*innen angezeigt haben mit Verweis auf 219a, haben sie die Debatte über diesen Artikel erst wieder in die Öffentlichkeit geholt. Das habt ihr toll gemacht.

Aber mal ernsthaft, für mich hat die Abschaffung von 219a zwei ganz wichtige Funktionen:

  1. Erstens, ganz pragmatisch: Es ist bei jedem medizinischen Eingriff enorm wichtig, dass Menschen die Möglichkeit haben, sich zu informieren. Diese Informationen erwartet man heute im Internet zu finden.

  2. Zweitens ist es aber in meinen Augen auch ein wichtiges politisches Signal. Wir erleben eine Phase in einigen Ländern, in der mit Populismus, unglaublicher Aggressivität und seltsamen Fantasien einer guten-alten Zeit versucht wird, gesellschaftlichen Fortschritt zu verhindern. Ich möchte diese Bewegungen nicht „konservativ“ nennen, denn der klassische Konservatismus bedeutet, Erhaltenswertes zu erhalten, nicht die Zeit krampfhaft dorthin zurückzudrehen, als niemand Macht hatte außer reichen, weißen Männern. Aber genau das will diese Bewegung in Russland, Polen, Ungarn, den US-amerikanischen Südstaaten, in denen Abtreibungen verboten und Frauen wieder auf ihre Gebärfähigkeit reduziert werden.

In dem Moment aber, in dem die neue Bundesregierung an ihrem Koalitionsvertrag festhält, dass sie sich in die entgegengesetzte Richtung bewegen wird, setzt das ein ganz deutliches Zeichen. Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob man Abtreibungen jetzt befürwortet oder nicht. Der Mangel an sicheren Möglichkeiten und sachlichen Informationen wird aber keine Abtreibung verhindern, sondern nur sichere Abtreibungen. Meine Oma kannte noch die Zeiten, in denen verzweifelte Frauen die „Engelmacher“ rufen mussten und nicht wussten, ob sie die Prozedur überleben. Da möchte ich nicht wieder hin zurück. 

Natürlich ist 219a nur der erste Schritt. Danach müssen Schwangerschaftsabbrüche legalisiert werden, damit wir aus dieser komischen Zwischenlösung rauskommen zu einer klaren Regelung. Aber er ist wichtig. Ebenso wie die Abschaffung des Transsexuellengesetzes und die Neudefinierung von Familie. Es wird. Es geht voran.


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Ein Artikel von Marie Spitznagel