Immer schön drauf, auf die Influencer!
Redaktion: Marie-Christin Spitznagel
Liebe Uschis, ich muss mich mal wieder aufregen.
Denn: Influencerbashing – was ist das eigentlich für ein Kacktrend?
Damals, vor langer Zeit, als die Dinosaurier noch über die Erde stromerten und ich jung war, mussten Frauen, die von zuhause Geld verdienen wollten, Kugelschreiber zusammensetzen oder Dinge eintüten. Das war blöde Arbeit für sehr wenig Geld.
Wenn eine Frau heute nebenher etwas Geld verdienen möchte, kann sie versuchen, bei Instagram, YouTube oder TikTok so viele Menschen zu begeistern, dass Firmen sie für Produktplatzierungen bezahlen. Diese Frauen nennt man dann Influencerinnen. (Natürlich gibt es auch männliche Influencer. Aber der Fokus liegt meist (und in diesem Text besonders) auf Frauen. )
Im Gegensatz zu früher können diese Frauen auch wirklich viel Geld verdienen. Klingt doch cool, oder? Naja, nicht für alle. Im Gegenteil.
Diese Menschen werden gerade sehr gerne öffentlich kacke gefunden. Man unterstellt ihnen, dumm zu sein oder käuflich, gerne wird dann auch vermeintliche Sorge um die Kinder (fremder Menschen) vorgeschoben, um die Influencerinnen mit einem guten Grund kacke finden zu können. Dabei halten viele Menschen ihr Gesicht für Werbung in die Kamera und es ist auch kein Verbrechen, nicht die hellste Kerze auf der Geburtstagstorte zu sein – was übrigens auch nicht unbedingt auf jeden zutreffen muss, der sein Geld auf/mit/über Social Media verdient. Zu dem vermeintlichen Kinderschutz komme ich später nochmal, aber zuerst:
Warum werden Influencer:innen eigentlich so kollektiv kacke gefunden?
Erst mal zum Einstieg: Natürlich kann man generell Werbung blöd finden. Und man kann es auch sehr gut blöd finden, dass Werbung durch beliebte Menschen auf Social Media verbreitet wird. Aber diese perverse Lust, mit der eben vor allem Frauen für diesen (Neben)Job blöd gefunden werden, macht mich schon teilweise fassungslos.
Ich habe nicht den Eindruck, dass junge Männer, die auf Twitch ihre Fortschritte beim Zocken zeigen, der gleichen Häme ausgesetzt sind, wie junge Mütter, die für Klamotten oder Kinderspielzeug auf Instagram Werbung machen. Oder, dass die zahlreichen, meist männlichen, „Coaches“, die dir mit 20 erzählen wollen, wie man schnell reich wird, ähnlich kritisch betrachtet werden, wie junge Mädchen, die ihre Lieblingsschminke zeigen. (Könnte das etwa ein sexistisches Problem sein? Ich bin schockiert!)
Und niemand vermarktet dies im Moment erfolgreicher als Oliver Pocher. Nach seinem Quatschkonflikt mit Michael Wendler (über den ich tatsächlich einfach nicht schreiben möchte, weil ich nichts darüber lesen möchte), musste er sich neue Opfer suchen, auf deren Rücken er sich erhöhen kann.
Also macht er sich nun auf Instagram über InfluencerINNEN lustig. Auf seine gewohnt geschmacklose Weise. Gleichzeitig pöbelt er gegen die Aktivistin Jorinde Wiese und fällt durch intensives Augenrollen auf, als Maren Kroymann beim Deutschen Comedypreis den Fall Luke Mockridge anspricht. (Könnte das etwa auch ein sexistisches Problem sein? Wir sind hier einer ganz großen Sache auf der Spur!)
Tatsächlich hebt er das Influencerbashing auf eine vollkommen neue Ebene der Ekelhaftigkeit, mit Anne Wünsche landete er sogar vor Gericht. Zum Nachdenken hat ihn das allerdings offensichtlich nicht motiviert. Jetzt macht er sich über sie lustig, weil sie mit ihren Followern das Ergebnis ihres ___STEADY_PAYWALL___Schwangerschaftstests erwartete und dann angesichts des positiven Ergebnisses in die Kamera weinte. Man kann das vielleicht albern finden, man kann sie aber auch einfach ihre Freude teilen lassen.
Ich möchte gar nicht alles auflisten, was er so in den letzten Monaten von sich gegeben hat, davon bekomme ich nur Magenbeschwerden. Der Instagram Account Der_Hase_im_Pfeffer hat sich mal die Mühe gemacht und Pochers gesammelte Frauenfeindlichkeit aufgelistet . Einen Blick in die Kommentare empfehle ich auch, denn dort berichten noch mehr Menschen über ihre Begegnungen mit Herrn P. und sympathischer wird er dadurch nicht. Auf Instagram folgen ihm knapp zwei Millionen Menschen. (Warum eigentlich?) Und dort hat er sich ironischerweise auf Menschen eingeschossen, die Instagram als Vermarktungstool benutzen, während er Instagram als Vermarktungstool benutzt. Aber das ist natürlich etwas ganz anderes.
Er nennt es „Bildschirmkontrolle“ und „gefährlich ehrlich“, veröffentlicht private Informationen über Influencerinnen, die ihm besonders missfallen (das nennt man „Doxing“) und lässt seine treuen Follower wie Bluthunde auf sie los. Die lauern den Frauen dann auch ganz gerne mal vor der Haustür auf. Wie es dann da aussieht mit dem „Schutz der Kinder“ ist ja egal. Wobei man davon ausgehen kann, dass sie sicherlich durch diese Aktionen mehr traumatisiert werden, als durch Muttis Influencertätigkeit.
Kleiner Einschub: Natürlich gibt es problematisches Verhalten von Müttern, die die Privatsphäre ihrer Kinder nicht beachten und alles, was ihre Kinder tun, in die Kamera halten. Finde ich auch kacke. Ist aber auch nicht meine Entscheidung. Ich gehe nicht davon aus, dass irgendeine Influencerin ihr Verhalten ändert, weil sie ein alternder Umlautpromi, der mit seiner eigenen Bedeutungslosigkeit nicht klar kommt, online beleidigt.
Kritische Betrachtung von Menschen mit Marktmacht
Jeder sollte sich im Klaren darüber sein, dass wir überall mit Produktplatzierungen konfrontiert werden. Im Fernsehen, im Radio, in Filmen und auf Social Media. Natürlich ist eine kritische Auseinandersetzung mit Werbung immer wichtig, vor allem wenn sie nicht immer als solche erkennbar ist. Medienkompetenz ist hier der Schlüssel – und das gilt nicht nur für Kinder und Teens. Es gibt schließlich auch genug Angehörige der Generation Babyboomer, die Probleme damit haben, online Fakten von Fiktion zu unterscheiden.
Denn neben dem Anpreisen von Waren, gibt es auch noch andere Inhalte, die durchaus problematisch sein können, mit denen Kinder (und Erwachsene), die sich im Netz bewegen, umgehen können müssen. Einerseits gibt es Influencer, die nach Dubai auswandern und strenge Verträge unterschreiben, was sie denn in Zukunft noch so posten dürfen, andererseits gibt es auch Aufwiegler und Lügenverbreiter, die auf Social Media gezielte Falschinformationen verbreiten.
„In den letzten Jahren war allerdings zu beobachten, wie Influencerinnen und Influencer aus dem identitären, völkischen und rassistischen Spektrum soziale Medien geschickt nutzen, um ihre Reichweite zu vergrößern.“
Das ist tatsächlich ein Problem. Aber komischerweise werden diese politischen Influencer selten genannt, wenn es darum geht, das Influencertum zu kritisieren. Nein, es geht um die vermeintlich dummen, jungen Menschen, die nichts können außer schöne Fotos zu machen und daher scheinbar die perfekten Ziele sind für Hohn und Spott. Wie arrogant ist das eigentlich? Und wie blind. Gerade angesichts der politisch problematischen Inhalte auf YouTube und Konsorten. Daher ist es unglaublich wichtig, Menschen mehr Medienkompetenz zu vermitteln. Dann erkennen sie auch versteckte Werbung.
Und jetzt?
Ob ein abfälliges „Ach du bist Influencer, hat es für einen richtigen Job nicht gereicht?“ oder pocheresker Frauenhass – ganz ehrlich – ich finde dieses Influencerbashing total bekloppt. Ich freue mich doch für jeden jungen Menschen, der es schafft, mit etwas Geld zu verdienen, das er liebt. Natürlich sollte Werbung gekennzeichnet werden, was ja inzwischen auch Pflicht ist, aber auch zuvor waren nicht die Personen, die diese Lücke ausgenutzt haben das Problem, sondern das System, welches das erst möglich gemacht hat.
Außerdem kann ich Inhalte, die ich doof finde, auch einfach ignorieren. Ich weiß, es ist ein krasses Konzept, aber ich muss auch einfach nicht zu allem eine Meinung haben. Da könnt ihr auch nochmal meinen Text zum Thema Meinungsfreiheit lesen. Sprecht mit euren Kindern und Mitmenschen über sinnvollen und kritischen Umgang mit Social Media. Vor allem weil es ja eindeutige Belege dafür gibt, dass Instagram gerade für junge Mädchen sehr schädlich sein soll.
Das ist auf jeden Fall ein klügerer Ansatz, als Menschen vor der eigenen Gefolgschaft bloß zustellen, ihre Vergangenheit raus zu kramen, öffentlich breit zu treten und generell arschlochig zu sein.