Hört auf, euch zu beschweren. Stop talking. Start action.

 

Ein Meinungsartikel von GUK-Gründerin Henriette Frädrich

Warum ich nichts mehr über „Female Empowerment“ und „Frauen müssen sich mehr gegenseitig unterstützen“ hören und lesen will. Über die Macht der Worte. Und die viel wichtigere Wichtigkeit von Schweigen und Taten. Inklusive einem Seitenhieb gegen überflüssige neue Laber-Apps. Und was wir von der Netflix-Serie „Das Damengambit“ und dem neuen US-Präsidenten lernen können.

Ich stecke in einer Zwickmühle. Ich frage mich: Muss und soll man ständig verbal auf Ungerechtigkeiten und Missstände hinweisen? Immer mit dem Finger auf alles zeigen, was nicht fair, nicht gerecht, nicht politisch korrekt, nicht korrekt gegendert, nicht gleichmäßig verteilt und so weiter ist? Sich dauerempören, dauerechauffieren, dauermoralisieren? Gleichberechtigung. Rassismus. Klimaschutz. Fake-News. Corona-Leugner. Kindererziehung. Job und Karriere. Bildungssystem. Der Zustand der Welt. Obdachlosigkeit. Gewalt. Kriminalität. Dummheit. Die Beschwerdeminenfelder sind unendliche Weiten. 

Wäre es aber nicht viel wirkungsvoller, einfach die Klappe zu halten, die Ärmel hochzukrempeln, und statt die Welt mit Worten, Beschwerden, Statistiken und Grafiken zu fluten, die Welt mit Taten zu verbessern? Statt laut zu krakeelen, im Stillen arbeiten. 

Und mit „arbeiten“ meine ich HANDELN, MACHEN, TUN. Und die Welt mit Ergebnissen, neu geschaffenen Normalitäten und Realitäten überraschen. Und dann nur noch schulterzuckend müde lächelnd daneben stehen, wenn sich andere mal wieder über etwas beschweren, was du schon längst mit Taten aus der Welt geschaffen hast bzw.  dort mit gutem Beispiel voran gehst, wo es dringenden Verbesserungsbedarf gibt. 

Können wir das Beschweren und Fingerzeigen, die Empörung und all das nicht einfach überspringen? Es ist so verdammt ermüdend, all das Befindlichkeiten-Geäußere überall. 

Natürlich weiß ich, dass es wichtig ist, Probleme zu benennen und über sie zu sprechen. Aber reicht es nicht, das Problem einmal zu identifizieren und sich dann stoisch und schweigend an die Arbeit zu machen, um es zu beheben? 


Worte sind wertlos. Und gefährlich. 

Jeden Menschen, jeden Charakter, jede Gesellschaft erkennt man nur an einem: Das was sie TUN. Niemals an dem, was sie sagen. Worte allein sind wertlos. Die Tat ist es, die den alles entscheidenden Unterschied macht. Ob im Job, ob im Kampf gegen Ungerechtigkeiten jeglicher Art, ob in einer Beziehung, ob in der Politik.

Ich kann den hundertsten Text darüber, dass Frauen in allen möglichen Bereichen immer noch extrem benachteiligt und nicht-gleichberechtigt sind, nicht mehr lesen. Ich will keine Statistik, keine Grafiken mehr über Genderpay-Gaps sehen. Ich will auch keine Aufrufe mehr hören, wir Frauen sollten nicht mehr länger gegeneinander konkurrieren und uns mehr gegenseitig unterstützen. Mehr miteinander networken, so wie es die Männer seit je her machen, Schätzelein. Alles natürlich schön im Sinn des Female Empowerment. 

Ich will aber kein „Female Empowerment“. Ich rege mich seit jeher über „Powerfrauen“ auf. Die Begrifflichkeiten sind so unnötig. Und implizieren, dass Frauen „Power“ und „Empowerment“ brauchen, weil sie es nicht haben. Männer hingegen brauchen es nicht. Sie haben es. Es ist normal, dass sie selbstermächtigend und kraftvoll handeln, leben, arbeiten, denken, sind. Warum ist es nicht normal für Frauen? Warum brauchen sie dafür ein Attribut. Nein, ich bin keine Powerfrau. Ich bin Henriette und tue, was ich tue. 

Ich verachte mich für meine eigene konsequente Inkonsequenz, dass ich Hashtags wie #femaleempowerment oder #powerfrau trotzdem unter meine Instagram-Posts setzen muss, weil so viele diese abonniert haben und ich im Sinne der Reichweitensteigerung durch so viele Timelines wie möglich huschen möchte. Dabei will ich für genau diese Begrifflichkeiten nicht stehen. 

Ende 2020 äußerte sich Moderatorin Jeannine Michaelsen im Interview mit dem Magazin jetzt.de zum Thema „mangelnde Frauensolidarität“. Zuvor hatte sie auf ihrem Instagram-Kanal ein kontrovers diskutiertes Video-Statement abgegeben. Ich finde die herrlich unaufgeregte Art von Jeannine Michaelsen super. Ich schaue ihr gern bei ihren Shows zu, wenn sie sich u.a. gegen die Premium-Clowns Joko und Klaas behauptet. Ich mag es, wenn sie die Zuschauer begrüßt mit „Liebe Herrschaften, liebe Frauschaften, liebe Menschaften“ und damit auf die aktuelle Genderdebatte kreativ, charmant und souverän und humorvoll eingeht. Ich finde es toll, dass sie ihre Reichweite nutzt, um auf wichtige und relevante Themen wie Rassismus oder MeToo aufmerksam zu machen und sie Haltung und Meinung zeigt. In ihrem Video geht sie auch generell auf den ganzen Internetmist ein, den andere Menschen in Form von Hasskommentaren auf z.B. ihrem Instagramkanal abladen. Diese Debatte ist wichtig. Cybermobbing muss in Zukunft dringenst und strengenst geregelt werden. Ich gab Jeannine Michaelsen in vielen Punkten in ihrem Interview recht. Und doch sträubte ich mich bei Aussagen wie „Frauen müssen einander groß machen“ oder „Wir brauchen viel mehr eigene Netzwerke“ oder dass wir Frauen einfach keine Solidarität untereinander haben. 

Warum sträube ich mich so dagegen? Weil ich es derzeit überall lese. In so vielen Artikeln im Internet und in den Printmedien. Ich höre es in Vorträgen und lese es auf Internet-Spruchbildern. Es geht um „Zickenkrieg“, „Stutenbissigkeit“ oder „Frauenkonkurrenz“. Und immer wieder die gleiche Leier von allem, was wir Frauen „mehr sollten“. Mehr netzwerken. Uns gegenseitig mehr unterstützen. Uns mehr füreinander und miteinander feiern. Ja, ja, ja. 


Ein unsolidarischer Akt 

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Ich gehe dem Gefühl nach, warum ich mich so dagegen sträube. Und finde schnell die Antwort. Es ist wie bei dem oben schon beschriebenen „Female Empowerment“ und der „Powerfrau“. Es wird uns permanent etwas unterstellt, was wir in der Normalität nicht haben. Was real nicht statt findet. Wir Netzwerken nicht genug. Wir sind nicht nett genug zueinander. Wir sind nicht genug von allem, was gut ist. Und haben zuviel von dem, was schlecht ist. Und damit beißt sich die Katze komplett selbst in den Schwanz. Indem wir permanent darauf rumreiten, wie wenig Solidarität wir Frauen doch angeblich untereinander haben, immer wieder den Konkurrenzkampf bejammern, das nicht genügende Netzwerken und all das –  sorgen wir nicht genau damit für einen noch größeren Graben zwischen uns? Ist das nicht der unsolidarischste Akt überhaupt, dass wir uns selbst immer wieder diese Geschichten erzählen? Wir entzweien uns damit nur noch mehr. 

Wir kreieren genau die Realität, die wir anprangern. Verstärken diese damit sogar. Es ist wissenschaftlich belegt, dass unser Gehirn keinen Unterschied macht, ob du sagst „Ich will keine Schokolade mehr essen“ oder „Ich will Schokolade essen“. Es versteht nur „Schokolade essen“. Wenn du abnehmen willst, solltest du also auf keinen Fall mit dem Argument „Ich will und werde keine Schokolade mehr essen“ arbeiten. Es erzeugt unterbewusst genau den Gegendrang. Es geht immer um den  klassischen Fokus darauf, was du willst. Einzig und allein dorthin soll dein Lichtstrahl scheinen. Klar, wir wissen zwar, was wir nicht wollen. Und das ist auch gut und wichtig. Aber das haken wir ab und beleuchten es nicht ständig. Denn sonst sabotieren wir uns selbst. Und steuern geradewegs dorthin zu dem, was wir nicht wollen. Ein Rennfahrer, der  mit Vollgas in eine Kurve fährt und sich, aus Angst vor der Kurve, auf die Kurve konzentriert, kracht in die Kurve oder fliegt raus. Ein Rennfahrer, der seinen Blick dorthin lenkt, wo er hin möchte, nämlich ans Ende der Kurve, nimmt die Kurve ohne Probleme.

Hinterfragen wir das eigentlich, wenn wir wieder von irgendwem gesagt bekommen, dass Frauen ja nicht solidarisch sind?

Ob es die mangelnde Frauensolidarität, das fehlende Netzwerken oder die hinterherhinkende Gleichberechtigung ist: Wir brauchen komplett neue Narrative. Ich will diese alten Geschichten nicht mehr hören. Und verdammt, ja, am Ende sind es wirklich nur das: Geschichten. Hinterfragen wir das eigentlich, wenn wir wieder von irgendwem gesagt bekommen, dass Frauen ja nicht solidarisch sind? Ist das wirklich wahr? Oder fressen wir das alles unhinterfragt was man uns so vorwirft? 

Das Perfide daran: Es sind gar nicht die Männer die uns das erzählen. Denen ist das doch am Ende völlig Latte, ob wir netzwerken oder nicht, ob wir nett zueinander sind oder nicht. Das Perfide ist: Wir Frauen erzählen uns das selbst. Und das ist der unsolidarischste Akt von allen. Denn je länger wir uns diese Geschichten erzählen, desto länger sind wir in ihnen gefangen. Denn, siehe oben, unser Gehirn verarbeitet das nur so, dass es uns jedes mal, wenn wir solche Artikel lesen oder solche gutgemeinten Aufforderungen von wem auch immer hören, folgendes rückmeldet: Frauen sind nicht solidarisch. Frauen sind nicht gleichberechtigt. Frauen netzwerken nicht. Es gräbt sich in unser Unterbewusstsein ein. Es wird mehr und mehr zu einem Glaubenssatz. Und Glaubenssätze sind hartnäckig. Sie hindern uns daran, aktiv wirklich daran etwas zu ändern. Wir sind und bleiben misstrauisch anderen Frauen gegenüber. Weil unser Unterbewusstsein uns ständig einflüstert, dass wir Frauen Konkurrentinnen sind, nicht netzwerken und wenig solidarisch.

Aber wie kann es gehen? Soll man Probleme nicht benennen? Immer offen über alles reden? Boah, nee. Silence is golden. Und Action das Platinum. Wir alle labern doch sowieso schon viel zu viel, streuen überall unsere Befindlichkeiten und Meinungen. Es ist so laut überall. Die Clubhouse-App hat uns da gerade noch gefehlt. Halleluja. Echt jetzt? In der Zeit, in der ich dort labere oder anderen beim Labern zuhöre, könnte ich einen weiteren Impfstoff gegen Covid19 entwickeln, das Verteilungsproblem lösen, mit dem Hund einen Waldlauf machen, einem Obdachlosen zuhören, meinem Kind bei den Hausaufgaben helfen oder mit meinem Lieblingsmenschen knutschen. Es gibt so viel wichtigere Dinge zu tun, als sich mit verbal ausgedrückten Befindlichkeiten und Meinungen anderer abzulenken und davon berieseln zu lassen. Gilt übrigens auch für allen möglichen anderen Ablenkungs-Quatsch.

Gibt es den Gender-Pay-Gap? Gibt es Ungerechtigkeiten in Sachen Gleichberechtigung? Gibt es Rassismus? Ja, all das gibt es. Was nicht dagegen hilft, ist es ständig zu thematisieren. Reden hilft nichts. Was hilft, ist Handeln. Im Handeln liegt die wahre Magie, etwas zu verändern und neue gelebte Realitäten und Normalitäten zu schaffen. Vorbilder und Rolemodel sind allein die Menschen, die etwas Bemerkenswertes getan oder erreicht haben. Sie inspirieren durch ihr Tun. Niemand kann Vorbild oder Rolemodel sein, der von großen Dingen erzählt, aber nichts dergleichen tut oder vorzuweisen hat. Letztere nennt man auch „Schwätzer“. Oder „Luftpumpen“. 

Was hilft, ist handeln. Und beim Handeln hält man es wie die Queen: Don´t complain. Don´t explain. Beschwer dich nicht. Erklär dich nicht. Mach halt einfach. Nur so schafft man neue selbstverständliche Realitäten und Normalitäten, auf völlig unprätentiöse Art und Weise. Ohne Gezeter. 

Du kannst die größte und coolste Frauen-Netzwerk-Party schmeißen. Aber mach genau das nicht zum Thema. Rede über die Gäste, über die Themen, über die Inhalte - eben über all das wirklich Wichtige und Relevante. Aber spare dir, darüber zu reden, dass Frauen ja viel mehr netzwerken und solidarischer miteinander sein müßten. 

Zeigen wir Unternehmen, bei denen Frauen das Sagen haben. Zeigen wir Frauen, die völlig selbstverständlich drei Kinder haben, und trotzdem CEO of irgendwas sind. Zeigen wir Unternehmerinnen, die seit Jahren das Business aufgebaut haben. Zeigen wir all das. Aber sparen wir uns bitte die Nachfrage, wie sie all das unter einen Hut bekommen. Und ob es als Frau nicht „besonders schwer ist“. Denn schon allein die Nachfrage nach „wie managest du Familie und Karriere“ impliziert, dass es nicht normal ist. Je normaler und unaufgeregter wir all das zeigen, desto schneller wird all das zur Selbstverständlichkeit. Und genau damit erreichen wir etwas. 


Nerven wir uns nicht länger selbst mit dem ewigen Gejammer darüber, wie schwer wir es doch haben. 

Das verlangt aber auch von u.a. uns Frauen, dass wir aufhören, uns selbst mit dem ewigen Gejammer darüber, wie schwer wir es doch haben, und wie benachteiligt wir doch sind, zu nerven. Wenn wir uns das immer wieder erzählen, es die ganze Zeit denken, glauben wir es. Erzählen es weiter. Was sich wie ein Narkosemittel oder gar Gift in der Gesellschaft verbreitet und festfrisst. Wir müssen diese Denk-Rille/Rolle endlich verlassen. Sonst bleibt das, worüber wir uns dauerbeschweren, Realität und Normalität. 

Ich war 2019 beim Summer-Meeting des Digital-Nomads-Business-Netzwerks „Citizen Circle“ als Rednerin nach Riga eingeladen. Es waren unter den RednerInnen fast nur Frauen. Ja, das ist ungewöhnlich. Denn es ging um Digitalisierung, Business, StartUps etc. Alles Bereiche, in denen normalerweise die Redepanel mit Testosteron überbesetzt sind. Wurde das in Riga thematisiert? Nein. Null, nada, niente. Es wurde nicht einmal darauf hingewiesen, dass die nächste Rednerin, kicher, ja schon wieder eine Frau ist. Es war einfach kein Thema. Denn es war völlig egal und irrelevant. Weil es um die Themen geht, die der- oder diejenige da oben auf der Bühne vorbringt. Aber bitte nicht darum, welche Art Mensch da oben steht. Ich habe den Citizen Circle genau dafür gefeiert.

Denn um genau diese Selbstverständlichkeit geht es. Machen wir nicht länger das zum Thema, was wir nicht als Thema haben wollen. So einfach ist das. Bewusst-unbewusst gesetzte Message des Events vom Citizen Circle: Es ist völlig normal und selbstverständlich, dass bei einer Konferenz auch mal nur Frauen oben auf der Bühne stehen. Message gesetzt, allein durch Handeln und Machen, aber ohne auch nur ein einziges Mal darüber geredet und es thematisiert zu haben.

Was wir vom Netflix-Hit „Das Damengambit“ lernen können

Oder beim Netflix-Serien-Hit „Das Damengambit“. Eine junge Frau mischt in den 50er und 60er Jahren die internationale Schachszene auf. Geniale Serie. Angucken! Und ja, die Protagonistin Beth Harmon ist die einzige Frau in der Männerwelt des Schachs. Aber auch das wird so gut wie gar nicht thematisiert. In all den Folgen gibt es vielleicht zwei bis drei kurze Dialoge darüber, die etwas damit zu tun haben. Aber das ist schnell abgehandelt und gar nicht Thema der Serie. Anfangs dachte ich nämlich genau das. Ah, da muss sich wieder eine Frau in einer Männerdomäne behaupten und wir begleiten sie bei diesem ermattenden Kampf sechs Folgen lang. Aber dem war nicht so. Es ging um ihren ganz eigenen Kampf, es ging um Schach, Genie und Wahnsinn, Coming-of-Age, Erwachsenwerden und Identität. Da spielt sich einfach ein Schach-Genie in den Schach-Olymp. Beth Harmon lebt dabei ihr Frausein, kommt mit glamourösen Looks zu jeder Partie, raubt allen den Atem. Und alle genießen es. Am meisten sie selbst. Und genau das darf so sein. Sie darf Frau sein in einer Männerwelt. Mit aufwendigen Frisuren, rotem Lippenstift und wahnsinnig tollen Kleidern. Sie darf weiblich sein. Muss sich nicht anpassen an die Männer. Sie muss ihr Frau-Sein nicht verstecken. Und wird (dennoch) respektiert, hofiert, gefeiert und bewundert. Und ja, auch unterstützt. Von Männern, ihrer „Beth-Crew“, die ihr mit vollem Einsatz helfen, den amtierenden russischen Großmeister zu schlagen. 

In den letzten 20 Jahren lernten Frauen in der heutigen Zeit vor allem das Gegenteil von dem, wie Beth in der Serie sein darf. Nämlich, wie wichtig es ist, „männlich“ zu sein, „männlich“ zu wirken. Bloß nicht zu schön, zu weiblich, zu gefühlvoll und verführerisch im Business auftreten. Uns wurden imaginäre graue, schwere Decken übergeworfen, unter denen wir unsere Weiblichkeit und unser Frausein zu verstecken haben. Uns wurde eingeredet, dass wir im Beruf nicht erfolgreich sein können, niemals die Karriereleiter empor klettern, wenn wir zu sehr Frau sind. Warum? Aus Angst vor der unfassbaren Macht und Kraft des Weiblichen. Aber das ist ein anderer Blog-Artikel. 

Zurück zur Serie: Man legte Beth keine Feminismus-Steine in den Weg. Kein „Gegen eine Frau spiele ich nicht“, kein „Eine Frau darf bei diesem Turnier nicht antreten.“ Nein, es ist völlig selbstverständlich, dass das junge Mädchen spielen und antreten darf. Klar sind die alten Schachhasen neugierig auf sie, klar ist sie Außenseiterin. Aber man lässt sie ihr Ding machen. Und es ist am Ende sogar egal, ob sie Frau oder Mann ist. Die Geschichte hätte vielleicht genauso gut von einem Waisenjungen erzählt werden können. 

Die Message der Serie: Klar kann jede Frau, die Bock hat und gut ist, Schach spielen und die Weltmeister wegputzen. Warum auch nicht? Wo ist das Problem? Und warum reden wir eigentlich überhaupt darüber? 


Die erste Frau, die … 

Oder aber wenn es beispielsweise darum geht, dass eine Frau die erste Frau ist, die eine bestimmte Position inne hat oder etwas zum ersten Mal erreicht oder geschafft hat. Es gibt davon wahnsinnig viele beeindruckende Geschichten. Sabine Töpperwien, die erste Frau, die Fußball im Fernsehen kommentiert hat. Dr. Dilek Gürsoy, die erste Herzchirurgin in Europa, die einem Patienten ein Kunstherz implantierte.

Ja. All diese Geschichten liebe ich auch. Ich bewundere all diese Frauen, all die Pionierinnen, die sich in Männerdomänen behaupten und durchsetzen. Aber, kontroverse Frage, spannender Gedanke: Würde es nicht für viel mehr Selbstverständlichkeit und Normalität sorgen, wenn wir es einfach nicht mehr benennen, dass sie die „erste Frau in xyz“ ist? Würde das nicht für eine ganz andere Realität sorgen? 

Ich weiß, es ist gut gemeint, „die Erste“ zu feiern. Ihr Respekt zu zollen für das, was sie geleistet hat. Und ich will das auch gar nicht klein reden, egal, um welche Errungenschaft es sich handelt. Aber befeuern wir mit diesem „die erste Frau“ nicht genau wieder die alte Geschichte und genau den Glaubenssatz, dass Frauen in Bereich xyz ja eine Ausnahme sind? Und dass es ein Kampf ist? Und dass es hart ist? Und schreckt nicht genau das potentielle NachahmerInnen eventuell eher ab, als dass sie sich „empowert“ fühlen könnten? 

Sollten wir all diese Attribute nicht einfach mal weglassen? Um so für genau die Normalität zu sorgen, nach der wir uns so sehnen, und von der wir uns wünschen, dass sie normal und real wird? 

Probieren wir es doch einfach mal aus. Das gilt im Übrigen nicht nur für „Feminismus-Themen“, sondern auch für andere Themen wie z.B. Rassismus. 

Kamala Harris ist die neue US-Vizepräsidentin. Doug Emhoff der Second Gentleman. 

Basta. 

Hat das nicht viel mehr Wirkung und Power und Boom und Standing als zu sagen oder zu schreiben: Kamala Harris ist die erste Frau im Vizepräsidenten-Amt. Sie ist zudem die erste schwarze Person, mit asiatischen Wurzeln, die dieses Amt bekleidet. Doug Emhoff ist der erste Mann in dieser Rolle. 

Macht nicht letzteres genau das wieder nur zu einer Ausnahme- und Randerscheinung und sorgt dafür, dass uns das eher „unnormal“ als „normal“ vorkommt? 

Denn wir wiederholen auf diese Art und Weise nur die Geschichten von Kampf, von Diskriminierung und von Rassismus. Wir schaffen aber nur dann neue Welten und Realitäten, wenn wir das nicht länger erzählen. Statt dessen aber völlig selbstverständlich vorleben und tun. Ohne es überhaupt zu thematisieren. Über selbstverständliche Dinge redet man nicht. Weil sie selbstverständlich sind. 

Den Samen der Selbstverständlichkeit pflanzen 

Ich gebe zu, es ist herausfordernd, Attribute zu vermeiden und gewisse Komponenten einer Geschichte nicht zu erwähnen. Ich versuche das z.B. bei unseren Instagram-Posts immer wieder, wenn ich ein Zitat poste oder einen Blog über eine „geile Uschi“ teile, in dem wir beeindruckende Frauen mit inspirierenden Werdegängen vorstellen. Genau eben nicht zu sagen, nicht zu schreiben, dass sie die erste in einem Bereich war. Oder dass sie es in der Männerdomäne xyz besonders schwer hatte. Ich weiß, dass all das Teil des Weges dieser Frauen ist. Und nicht immer gelingt es mir, diese Teile der Geschichte wegzulassen, denn ja klar, sie sind doch immer „WOW, was sie da geschafft hat“. Aber, ich wiederhole mich: Jede dieser Geschichten trägt am Ende die Message „als Frau hat man es immer besonders schwer.“ Das will ich nicht länger erzählen. Diesen Samen will ich nicht länger in die Köpfe der LeserInnen pflanzen. Meine Mission mit den „geilen Uschis“ ist unter anderem, den Samen der Selsbstverständlichkeit zu pflanzen. Seht her. Hier sind tolle Frauen. Die machen tolle, großartige Dinge. Und wir reden über all die Dinge, die sie tun, aber nicht darüber, dass sie Frauen sind. Ob jemand eine Frau oder ein Mann ist, ist nicht die Nachricht. Die Nachricht ist: Was tut er oder sie? 

Selbiges würde ich mir auch in vielen anderen kritischen Bereichen wünschen. Rassismus. Integration. Inklusion. Diversity. Reden wir über all die vielen, großartigen Dinge, die Menschen tun oder erreicht haben, ohne zu thematisieren, ob sie nun homosexuell oder bisexuell sind, ob sie im Rollstuhl sitzen oder nicht, ob sie weiblich, männlich oder transgender oder indifferent sind. Ob sie aus Afghanistan, der Türkei oder Australien kommen. Ob sie schwarz sind oder asiatische Wurzeln haben oder irische Vorfahren. (M)Eine ideale Welt ist eine Welt, in der alles davon selbstverständlich und normal ist und damit nicht mehr erwähnenswert ist. Eine Welt, in der es viele Normalitäten und Realitäten gibt. Eine Welt, in der vor allem das zählt, was Menschen tun, und nicht das, was sie sagen. Oder wer sie sind. Oder woher sie kommen. 

Ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung über den neuen US-Präsidenten Joe Biden bestätigt die Wichtigkeit der Taten.

„ … Man wagt sich vermutlich nicht zu weit vor, wenn man behauptet, dass Biden selbst weiß, dass seine Worte derzeit nicht so wichtig sind. Wichtig ist allein, was er tut. … Die viel beschworene Heilung wird nicht durch Reden passieren. … 

Biden kann von seinen unmittelbaren Vorgängern, von Barack Obama und von Donald Trump, die nahezu gleiche Lektion lernen. Beide liebten den öffentlichen Auftritt. Beide sprachen immens gern vor Publikum. Obama verlor sich dabei oft in philosophischen Betrachtungen, in immer höher werdenden Türmen des erhabenen Gedankens. Trump hingegen verlor sich in der niemals zu füllenden Leere seines pathologischen Narzissmus. … Beide Präsidenten, Nummer 44 und Nummer 45, obwohl fundamental unterschiedlich, waren letztlich Männer des Wortes. Sie waren selten Männer der Tat. Joe Biden könnte nun wegen exakt dieser Erfahrung, einmal aus größter Nähe als Obamas Vizepräsident, einmal aus nicht ganz so großer Nähe als Trumps Widersacher, ein anderer Präsident werden als seine beiden Vorgänger.

An seinem ersten Tag im Amt, den Präsidenten sonst dazu nutzen, um durchzuatmen, um ihren Sieg zu zelebrieren und ihren Unterstützern zu danken, hat Biden umgehend wegweisende Entscheidungen getroffen. Er verfügte, dass die USA dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten. Er hob den Einreisestopp auf, der für viele überwiegend muslimische Länder galt. Er ordnete eine Maskenpflicht in Gebäuden an, die dem Bund gehören, um damit klarzumachen, dass er die Pandemie ernst nimmt.

Er hat sich an dem Tag, an dem er seinen Aufstieg zum Präsidenten und damit das Erreichen seines Lebensziels hätte feiern können, darum gekümmert, dass Mieter, die wegen der Pandemie ihren Job verloren haben, ihre Wohnungen trotz säumiger Zahlungen nicht verlieren, und dass Studierende studieren können, obwohl sie die Gebühren gerade nicht bezahlen können. Das Große und das Kleine standen im Mittelpunkt seines ersten Tages im Amt. Er war kein Mann des Wortes oder des Schmerzes. Er war ein Mann der Tat.“


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