#textmewhenyougethome: Sicher ist nicht sicher
Redaktion: Marie-Christin Spitznagel
Hey ihr lieben Uschis und Ottos da draußen,
mein heutiges Thema ist weniger YeahYeahYeah als sonst, aber ebenso wichtig für uns alle. Es geht um den Hashtag #textmewhenyougethome und die beschissene, tragische und ermüdend bekannte Geschichte dahinter.
Auslöser, dass Frauen mal wieder ihre Erlebnisse mit sexualisierter Gewalt und der Angst davor auf Social Media teilen (müssen), ist der Mord an der 33-jährigen Engländerin Sarah Everard, die Anfang März eine Freundin besuchte und auf dem Heimweg verschwand. Ihre Leiche wurde später in einem Wald gefunden. Der mutmaßliche Täter ist ein Polizist.
Das Thema und der Hashtag haben in den letzten Wochen eine Menge Aufmerksamkeit erfahren – vollkommen zu Recht. Aber ich habe tatsächlich etwas Angst, dass es jetzt wieder in Vergessenheit gerät, bis der nächste tragische Fall durch die Medien geht. Das haben wir ja schon des Öfteren gesehen. Leider.
Doch das Problem verschwindet nicht, wenn man ihm keine Aufmerksamkeit mehr schenkt. Ich bin Jahrgang 1983 und seit meiner Jugend nie nach Hause gelaufen, ohne meinen Haustürschlüssel zwischen die Finger zu nehmen. Meine Nichte ist 1999 geboren und macht das Gleiche. Ich möchte, dass meine Tochter (Jahrgang 2009) das nicht mehr machen muss. Aber ich befürchte, es wird nicht anders werden.
Sicher ist nicht sicher
Jede Frau kennt diese vermeintlichen Sicherheitsmaßnahmen, die ihr helfen sollen, unbeschadet nach Hause zu kommen. Bunte Kleider anziehen (damit man auffällt!). Nicht zu spät nachts alleine unterwegs sein. Die ganze Zeit telefonieren oder wenigstens so tun. Eine gut beleuchtete und belebte Route wählen. All das hat Sarah gemacht und es hat sie dennoch nicht gerettet. Zu Fuß gehen ist nicht sicher. Taxis sind nicht sicher. Busse sind nicht sicher.
Es gibt Momente, da bin ich nicht einmal mehr wütend, ich bin nur noch müde. Jede Frau, die auf Social Media über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt und Übergriffigkeit schreibt, kann danach Kommentar-Bullshit-Bingo spielen.
»Männer werden viel öfter Opfer von Gewalt.«
»Nichts darf man mehr.«
»Wenn ihr solche Angst habt, dann lernt doch Selbstverteidigung.«
»Das ist doch total übertrieben.«
Danke für deinen Einwand Ulf, du bist noch nie nachts sexuell belästigt worden und daher haben wir alle umsonst Angst. Na dann ist ja gut.
Allerdings, und auch das muss ich hier an dieser Stelle erwähnen, gibt es auch Frauen, die Erfahrungen von sexualisierten Übergriffen klein reden und sogar lächerlich machen. Kommentare wie
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»Man kann sich aber auch anstellen.«
»Das ist doch nicht so schlimm.«
»Freu dich doch, dass dich jemand gut findet.«
»Wenn man es nötig hat.«
hört man ja auch immer wieder.
Danke für nichts an dieser Stelle. Über Frauensolidarität schreibe ich demnächst auch noch.
Die Gefahr für Frauen lauert übrigens, statistisch, nicht auf der Straße, sondern zu Hause. 2019 wurden in Deutschland 267 Frauen getötet, weitere 542 überlebten Tötungsversuche. In anderen Ländern benennt man diese Gewalt schon »Femizid«, in Deutschland spricht man von Familiendramen oder, wenn Täter und Opfer einen Migrationshintergrund haben, auch von „Ehrenmord“ – ein Begriff, den ich so abstoßend finde, dass ich kaum Worte dafür finde, ohne sehr ausfallend zu werden. Insgesamt wird Gewalt gegen Frauen sehr gerne von einigen Vertretern spezieller politischer Gesinnung mit der Nationalität der Täter in Verbindung gebracht, egal ob das hilft oder nicht. Und weil die einen sofort über »Rapefugees« schwadronieren, sprechen die anderen gar nicht über einen eventuellen Zusammenhang. Beides ist sicherlich falsch, wenn wir das Problem genau untersuchen und auflösen wollen.
Und jetzt?
Ich glaube nicht, dass alle Männer morgens aufstehen und planen, über den Tag möglichst vielen Frauen Angst zu machen oder sie zu vergewaltigen. Vielmehr sind sich wahrscheinlich Männer einfach nicht bewusst, was ihr Verhalten teilweise auslöst. Ich empfehle mal, dieses Video anzugucken. Die Männer dort waren sicherlich auch der Meinung zu flirten.
Ihr Verhalten ist aber einfach nur übergriffig.
Ich bin mir auch sicher, dass es keine Veränderung geben wird, wenn Männer nicht anfangen, sich und ihr Umfeld immer wieder zu überprüfen und sich zu fragen, was sie tun können, um Frauen nicht nur aktiv zu helfen, aber auch, um zu verhindern, dass ihre Freunde Täter werden.
Meine Hoffnung ist, dass auch immer mehr Männer aufmerksam werden und dieses »Problem«, diese himmelschreiende, scheißgefährliche Ungerechtigkeit sehen und auch vor ihren Kumpels benennen. Zum Glück finden sich dafür inzwischen auch prominente Beispiele. Männer wie Daniel Sloss, ein schottischer Komiker, der in seinem neuen Bühnenprogramm „X“ davon erzählt, dass einer seiner Freunde eine gemeinsame Freundin vergewaltigt hat und er selbst sich inzwischen sicher ist, dass er das hätte verhindern können. Der britische Autor Chris Hemmings sagte im BBC, dass es sich hier um ein Problem der »Männergewalt« handle. Es gehe nicht darum, wie sich Frauen anders zu verhalten hätten. »Die Frauen sind die Opfer«, sagte Hemmings. Daher liege es jetzt auch bei den Männern, eine Veränderung herbeizuführen. Und an uns Frauen liegt es, immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass wir ein Problem haben.
Hoffen wir, dass die überwiegende Mehrheit der Männer weiterhin ein Auge offen hält und sich mit Frauen solidarisch zeigt, nicht nur wenn der (potentielle) Täter eine andere Hautfarbe hat. Damit wir solche Hashtags nicht mehr brauchen.